Und es begab sich zu einer Zeit, als es auf Weihnachten zuging, und alle Menschen einen Christbaum besorgten. Der wurde mit allerlei Zuckerwerk, Strohsternen und bunten Bändern aufgeputzt und mit Lichtern besteckt, um die Stube zu schmücken. Eine Fichte, eine Tanne, eine Kiefer sollte es sein, die mit ihren immergrünen Nadeln duftende Frische und hoffnungsfrohes Grün spendeten. Als Beweis dafür, dass das Leben immer weiter geht und man voller Zuversicht in die Zukunft blicken darf.
Früher, viel früher, da drehte sich die Zeit lange rund um den Baum, blieb so ein Christbaum von Weihnachten bis Lichtmess stehen, alle in der Familie freuten sich daran und die Kinder wollten ihn gar nicht mehr hergeben. Mit dem wiederkehrenden Licht, den allmählich länger werdenden Tagen aber kamen neue Pflanzen ins Haus, Hasel- und Palmkätzchen oder sogar schon eine Primel und ein Veilchen. Der ausgediente Christbaum wurde dann feierlich im Ofen verschürt, aus dem oberen Stammstück wurde ein Quirl für die Küche geschnitzt, aus manchen Zweigen ein Kleiderbügel, aus anderen ein Besen und sonst noch allerlei nützliche Utensilien gefertigt. So blieb das Andenken an den Baum weithin erhalten. Mit der Zeit vergaßen die Menschen dann diese Traditionen, so dass der Christbaum höchstens noch bis Dreikönig, manchmal nur bis Neujahr oder gar bloß über die Weihnachtsfeiertage stehen blieb und danach als Abfall in den Rinnstein geworfen wurde. Ein Christbaum war eher dazu da, weil man eben einen haben musste – warum nur? Dass man den allerneuesten Tand präsentieren und unter seinen Zweigen die Geschenke stapeln konnte, sich im Wettbewerb um den größten und kostspieligsten Baum messen konnte.
Doch in diesem Jahr war alles anders. Die Bäume waren über die Jahre zunehmend verärgert über das Gebaren der Menschen. Früher hatten sie wohlwollend geduldet, dass man einige der ihren für das Weihnachtsfest aus dem Wald holte. Immerhin wurden die Bäume in Ehren aufgestellt, bedankten sich die Menschen achtungsvoll für deren Hingabe. Nun aber war von Respekt oder gar Dankbarkeit keine Rede mehr. Deshalb beschlossen die Bäume, den Menschen eine Lektion zu erteilen. Keiner von ihnen, kein einziger wollte sich mehr als Christbaum, der gar keinen wahren Christbaum mehr darstellte, opfern.
Als die Menschen in den Wald kamen, sich ein hübsches Tännchen, einen gerade gewachsene Fichte und eine buschige Kiefer aussuchten und abschlugen, da verloren diese auf der Stelle sämtliche Nadeln. Bar jeden Grüns, völlig kahl gefielen sie den Menschen natürlich nicht mehr, so dass man sie verächtlich ins Unterholz warf. Bei den nächsten Bäumen, welche die Menschen umsägten, passierte dasselbe. Sogar die schütteren Tannen, die schrägen Fichten und die krummen Föhren von den entlegenen Revieren standen umgehend nackt da, sobald ihre Stämme durchtrennt wurden. Die Menschen waren erbost, ratlos, mussten ohne Christbäume wieder aus dem Wald ziehen.
Das würde ein armseliges Weihnachtsfest werden. Ganz ohne Grün, ganz ohne Baum, ganz ohne strahlende Augen und glückliche Herzen. Die Menschen erfanden schnell Ersatzbäume, aus Kunststoff gefertigt und den echten Tannen, Fichten und Kiefern täuschend ähnlich im Anblick. Die schmutzen wenigstens nicht, meinten sie, und man kann sie immer wieder verwenden. Aber die Kinder fanden die Kunstbäume nur hässlich. Diesen Plastiktannen, -fichten und -kiefern fehlte etwas, etwas ganz Entscheidendes. Nämlich der Duft, die Seele. Was die Erwachsenen gar nicht merkten, die Kinder aber sofort spürten. Eine große Traurigkeit breitete sich unter den Kindern aus, da halfen weder süße Lebkuchen noch glitzernde Kugeln, nicht einmal die Aussicht auf viele Geschenke.
Ein kleiner Junge fasste sich endlich ein Herz und wanderte in den Wald. Als er mitten unter den Bäumen stand, schüttete er ihnen sein Herz aus. Weihnachten ohne Christbaum, das wäre das Schlimmste auf der Welt. Woran durfte man da noch glauben? Er bat die Bäume inständig darum, wenigstens ein paar Zweige zu spenden, die mit immergrünen Nadeln das Weihnachtszimmer verzaubern würden. Es wäre sein allergrößter Weihnachtswunsch. Die Bäume standen und schwiegen. Hier und da ließen ein paar ihre Äste knacken, schwangen einige ihre Zweige nachdenklich hin und her. Da hub die alte Buche zu sprechen an. Mein lieber Junge, sagte sie, wir Bäume wissen wohl, dass ihr Kinder unsere Freunde seid. Aber auch ihr werdet einmal groß und erwachsen, dann vergesst ihr nur allzu schnell, dass wir Bäume Lebewesen sind, wie ihr Menschen. Und ihr achtet uns nicht mehr, hackt uns um und lasst uns in Rauch aufgehen. Nicht einmal als Christbäume zollt ihr uns dann mehr Achtung. Deshalb werden wir euch keine Tannen, Fichten, Kiefern mit frischen grünen Nadeln mehr spenden. Doch weil du ehrlich und mutig bist, will ich dir einen Ersatz schenken. Nimm ein paar meiner Zweige mit nach Hause. Tröste dich mit den wenigen Blättern, die zwar welk, aber immer noch rotgolden daran hängen.
Der kleine Junge schnitt ein paar Zweige von der Buche, bedankte sich artig und lief heim. Er steckte die Zweige in eine Vase, goss jeden Tag frisches Wasser hinzu und knüpfte ein paar schöne Bänder zwischen die ledrigen Blätter, aus denen alles Leben gewichen schien. Das werde wohl höchstens ein schäbiger Besen mit Schleifen, spotteten die Erwachsenen, aber doch kein Christbaum. Lass gut sein, beschwichtigten sie den Jungen, wir haben doch künstliche Bäume. Doch der Junge ließ sich nicht beirren. Er hatte die Worte der Buche noch im Ohr und spürte den Baumsaft, das Herzblut der Buche in den kahlen Zweigen. Und er sagte allen Kindern, sie sollten sich ebenfalls ein paar Triebe von der Buche erbitten und es ihm gleich tun.
Der Weihnachtsabend war gekommen. Niedergedrückt schlichen die Kinder in der Wohnung umher. Das Glöckchen konnte sie kaum locken, wussten sie doch, dass hinter der Tür kein Christbaum im Lichterglanz und Sternenglimmer stehen würde. Die Bescherung. Die Erwachsenen drängten und so öffneten die Kinder schließlich das Weihnachtszimmer. Welche Überraschung!
Da stand zwar kein Christbaum in weihnachtlichem Schimmer, aber ihre Zweige, die Buchenzweige trugen grüne Blätter! Über Nacht waren die nadelspitzen Knospen der Zweige aufgegangen und hatten ihren Schatz, die zarten Buchenblätter fürs nächste Frühjahr frei gegeben. So fein gefältelt, so kostbar beflaumt, so einzigartig grün! Die Kinder jubelten, und besonders der kleine Junge war überglücklich. Ein zarter, buchenfrischer Duft zog durchs Zimmer.
Am nächsten Tag liefen die Kinder in den Wald und stellten sich rund um die Buche. Mutter des Waldes, sprachen sie im Chor, wir danken dir für deine Großzügigkeit. Das ist das schönste Weihnachtsfest, das es je gegeben hat. Wir versprechen, dass wir fortan alle Bäume ehren werden, erst recht als Christbäume. Die Bäume rauschten mit ihren Kronen rundum Beifall, die alte Buche senkte ihre Äste sanft herab, als wolle sie den Kindern über die Köpfe streicheln.
Die Kinder erinnerten sich ihr Leben lang an dieses Weihnachtsfest. Und diese Geschichte ist wohl bis heute in vielen Herzen geschrieben, es muss wohl bis heute noch Menschen geben, die die Bäume als Freunde verstehen – sonst stünde da kein Christbaum im Zimmer, strotzend vor grüner Lebenskraft und sprühend vor würzigem Seelenduft. Halten wir ihn in Ehren. Wundersame Weihnachten!