Bionik, eine begeisternde Wissenschaft

KletteLeonardo da Vinci erdachte Flugmaschinen, die sich am Bau eines Vogels orientierten. Die Schwimmblätter der Riesenseerose mit ihren massiven Blattrippen gaben die Idee zum Bau des Glaspalasts in London. Ein Pfefferstreuer funktioniert wie eine Mohnkapsel. Das Haftprinzip von Klettenfrüchten diente als Vorbild für den heute alltäglichen Klettverschluss. Oberflächen gestaltet man schmutzabweisend, nachdem man den Selbstreinigungseffekt der Lotosblätter erkannt hatte. All dies sind Beispiele für Bionik, der Wissenschaft, die von der Natur lernt.

LotosblumeBionik, eine junge, aber höchst aktive Wissenschaft
Der Begriff Bionik leitet sich ab von Biologie und Technik. Naturwissenschaftler und Ingenieure, Architekten, Philosophen und Designer schauen sich Tiere und Pflanzen, natürliche Prozesse und Lebensweisen ganz genau an, um deren geniale Konstruktion und ausgeklügelte Entwicklung auf Technik zu übertragen. Nicht wenige Neuerungen haben unseren Alltag damit nachhaltig beeinflusst, etwa der weithin bekannte Lotoseffekt. Oberflächen von Pflanzen wie Lotosblume oder Kohlrabi sind so gestaltet, dass sich auf ihnen kein Schmutz festsetzen kann, er wird vom Regen einfach abgespült. Stäubt man Paprikapulver auf ein Kohlblatt auf, lässt es sich mit wenig Sprühwasser ganz einfach abspülen. Sogar Klebstoff fließt es dank der besonderen Pflanzentechnik einfach ab. Mittels Nanotechnik gestalten Ingenieure diesen Effekt z.B. bei Fassaden, Duschkabinen oder Seitenscheiben vom Auto nach. Wie einzigartig die Natur im Laufe der Evolution Lebewesen gestaltet hat, damit sie gegen alle Eventualitäten gerüstet sind, und was wir uns davon abschauen können, sollen ein paar Beispiele aus der Pflanzenwelt zeigen.

GetreideStabiler Leichtbau
Gräser haut so schnell nichts um. Schaut man sich Bambus, Getreide, Pfahlrohr, aber auch Schachtelhalme genau an, bemerkt man deren geniale Konstruktion. Sie sind hohl, ihre Wände von langen Fasern durchzogen. Das verleiht ihnen größtmögliche Stabilität und Tragkraft bei gleichzeitiger Elastizität und Knickfestigkeit, viel besser als Stahlbeton. Lässt sich einfach nachvollziehen: Eine Papprolle einer Küchenrolle ist ziemlich stabil, kann mehr tragen als ein massiver Zylinder derselben Maße. Besteht der Hohlkörper aber aus Wellpappe, ist er noch leistungsfähiger – und spart dazu Material.
BambusGemäß diesen Vorbildern wurde von Biologen der Universität Freiburg und Ingenieuren des Instituts für Textil- und Verfahrenstechnik Denkendorf der „technische Pflanzenhalm“ entwickelt. Der bionische Faserverbundwerkstoff kann für den Automobilbau, für Sportgeräte wie in Luft- und Raumfahrttechnik eingesetzt werden. Neuartige Tragflächen von Flugzeugen werden damit ebenso denkbar wie bionische Skistöcke.
Leichtbauweise gepaart mit höchster Belastbarkeit findet sich beispielsweise auch im Automobilbau, wo man Karosserien nach Vorbild von Baumkronen, Achsträger nach Vorbild von Drachenbäumen entwickelt. Schaumstoffe, entwickelt nach Pflanzenvorbildern, verkleiden Armaturenbretter und Verkleidungen, nehmen bei Unfällen gewaltige Kräfte auf und sind doch leicht genug, damit die Insassen vor Verletzungen so weit wie möglich geschützt bleiben. Nach dem Vorbild von wachsendem Holz hat Prof. Claus Mattheck vom Forschungszentrum Karlsruhe ein Rechenprogramm entwickelt, mit dem man Bauteile mit geringstem Gewicht konstruieren kann.

LoewenzahnBesser fliegen
Die geniale Flugtechnik von Löwenzahn- oder Wiesenbocksbartfrüchten inspirierte die Forscher zur Konstruktion von autostabilen Fallschirmen. Nach dem Prinzip der geflügelten Ahornfrüchte entwickelten die Gebrüder Wright den Propeller als Antrieb für ihre Flugzeuge. Der „Nasenzwicker“ diente aber auch als Vorbild für das Design eines Hilfspakets, mit dem man aus dem Flugzeug Waren abwerfen kann, die nicht aufwendig mit einem Fallschirm ausgestattet werden müssen und trotzdem ohne harten Aufprall zur Erde unbeschadet kommen. Die Adrienne Finzsch erhielt dafür 2012 den James-Dyson-Awards. Bis zu 60 kg trägt der emergency airdrop mit seinen Schraubenflügeln.

BananeOptimal verpacken
Eine Banane – besser geht Verpackungstechnik nicht. Multifunktional, biologisch abbaubar, gleich schon mit „Reißverschluss” versehen. Kokosnüsse sind von Natur aus so ausgestattet, das sich selbst unter intensiver tropischer Sonne die Kokosmilch im Inneren nicht zu kochen anfängt, weil die Schale Verdunstungskälte erzeugt. Außerdem fallen sie aus großer Höhe von der Palme, ohne zu zerplatzen. Bei der Pomelo, einer großen, pampelmusenartigen Zitrusfrucht, dämpfen die schaumstoffähnliche Schicht aus luft- und wassergefüllten Zellen unter der Schale den Aufprall, auch diese Früchte landen unversehrt nach Sturz aus 20-30 m Höhe auf dem Boden. Macadamianüsse wiederum verfügen über eine ungemein harte Schale aus Steinzellen. Kokosnuss, Pomelo und Makadamia, vereint ergaben sie das Vorbild für Motorradhelme.

Selbstheilung MittagsblumeSelbstheilende Membranen
Mehr als ärgerlich, wenn die Luftmatratze plötzlich Luft verliert, das Schlauchboot leckt oder ein reifen ein Loch bekommt. Da wäre es doch praktisch, wenn sich die Außenhaut selbst repariert. Genau das ist das Ziel der Forscher, indem sie die Wundheilung von Pflanzen untersuchen, um dies auf technische Materialien zu übertragen. Bei der Pfeifenwinde, einer tropischen Liane, die ausgesprochen rasch wachsen, reißt die Außenhülle immer wieder ein. Für Mittagsblumen können Beschädigungen tödlich sein, weil sie als Wüstenpflanzen innerhalb Kurzem austrocknen. Die Pflanzen heilen diese Verletzungen blitzschnell, indem Zellen aus dem Gewebe aufquellen und die Risse versiegeln. Eine bionische Beschichtung aus Polyurethanschaum, entwickelt vom Kompetenznetz Biomimetik der Universität Freiburg, kann die Membran luftgefüllter Materialien jetzt selbst reparieren. Bei einer Beschädigung quillt der unter Überdruck stehende Schaum in den Riss und verschließt ihn.
Damit möchte man in Zukunft luftgefüllte Träger für Hallen, Sportstadien oder Brücken entwickeln, die in Leichtbauweise mindestens ebenso viel aushalten wie massive Stahlträger. Der unkaputtbare Radlreifen rückt auch in greifbare Nähe.

Unbenetzbare Oberflächen
Ein Badeanzug, der nicht nass wird, ein Containerschiff, das treibstoffsparend durch den Ozean gleitet – möglich kann dies werden, wenn sie von einem dünnen Luftfilm umgeben sind. Der Schwimmfarn Salvinia molesta macht es vor. Forscher der Universitäten Bonn, Karlsruhe und Rostock haben es untersucht: Der Farn trägt Härchen, die wie winzige Schneebesen aussehen und Wasser abweisen. Taucht man ihn unter Wasser, halten die Härchen ein Luftpolster fest, die Blätter sind unbenetzbar und kommen trocken wieder aus dem Wasser heraus.
Gelingt es, große Schiffe mit einem bionischen Bootslack auszustatten, der nach dem Vorbild Schwimmfarn funktioniert, könnte die Reibung des Schiffsrumpfes stark herabgesetzt und so viel Treibstoff eingespart werden. Gewebe für Bademoden könnte dank Schneebesenhärchen immer trocken bleiben – welch ein Traum, die immer trocken bleibende Badehose!

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