Engelwurz – himmlische Hilfe aus Erdentiefe

Ein Engel, so die Sage, hat einst verzweifelten, frommen Menschen die Pflanze gewiesen, mit deren Wurzel sie sich vor Pest und Cholera schützen konnten. Prompt erhielt das Kraut den Namen Engelwurz. Früher als Allheilmittel gepriesen und als Arzneipflanze hoch verehrt, steht Wald-Engelwurz heute nicht mehr im allgemeinen Interesse. Aber: Allein ihr Name macht doch schon neugierig.

Wurzeln graben

Wenn sich der Herbst allmählich mit kalten Nächten und fallenden Blättern bemerkbar macht, zieht es uns in die warme Stube, die Tiere in ihre Winterquartiere und die Pflanzen in die schützende Erde zurück. Herbst ist Wurzelzeit. Die Pflanzen haben ihre unterirdischen Vorratskammern gut gefüllt, ihre Wurzeln strotzen vor Aroma und Energie. Und eben deshalb, im Herbst, wenn die Natur zur Ruhe geht, beginnt die hohe Zeit des Wurzelgrabens. Nicht nur Schwarzwurzeln, Petersilienwurzeln, Pastinaken oder Gelbe Rüben holt man ans Tageslicht, sondern auch besondere Wurzen. Die Wald-Engelwurz (Angelica sylvestris) darf bei versierten Wild- und Heilpflanzenkennern nicht fehlen.

Markante Eigenschaften

Bis spät ins Jahr, bisweilen bis tief in den Winter ragt die Wald-Engelwurz über vergilbende Gräser, verbraunende Waldpflanzen und verkahlende Büsche empor. Ihr hohler, kräftiger Stängel, nach dem sie Namen wie Moosrohr, Waldrohr hat, trägt bis tief in den Winter letzte Früchte, kleine braune Gebilde. Wer eines pflückt und zerdrückt, dem steigt ein süßlich-feiner Duft nach Kümmel, Koriander und Kampfer in die Nase.

Neben der verblühten Engelwurz, deren Wurzel jetzt holzig, zäh und fade geworden ist, gibt es sicher ein paar jüngere Pflanzen, deren saftige, rübenförmige Wurzeln sich zu stechen lohnen. Die Blätter, die ausgebreitet durchaus an einen Engelsflügel denken lassen, weisen den Weg zu unterirdischen Schätzen.

Man packt sie am Schopf, spürt der Austriebsstelle nach und gräbt mit einem Wurzelstecher oder Spaten in die Tiefe. Bis daumendicke, oft mehrfach verzweigte und gebogene, hellbraune Wurzeln mit Querrillen lassen sich aus dem Erdreich bergen. Nach dem Anschneiden der Wurzeln wird wiederum ein intensives, erdig-scharfes Aroma frei, das an Ingwer erinnert. Der Geschmack: Zuerst süßlich, dann leicht scharf und würzig-bitter.

Aromatische Fülle

Wer Engelwurzen sticht, sollte immer darauf achten, dass er genügend Pflanzen in der Erde belässt. Nur dann ist auch im nächsten Jahr für Nachschub gesorgt. Wo Wald-Engelwurzen in großen Herden beieinander stehen, darf man sich ruhig eine davon holen. Diese Bescheidenheit fällt einem nicht schwer, denn schon ein kleines Stück Wurzel liefert genügend Kraft.

Bezeichnungen wie Brustwurz, Luftwurzel, Heiliggeistwurzel lassen schon vermuten, wofür die Engelwurz verwendet wurde. Neben Brust- und Lungenleiden kam Engelwurz schon immer bei Beschwerden des Magen-Darm-Trakts zum Einsatz. In alten Kräuterbüchern schreibt man ihr eine wärmende Wirkung zu, mit der sie alle Gifte aus dem Körper treibe. Nachdem sie Blähungen lindert, nicht ohne dabei Winde zu erzeugen, erhielt sie vom Volk den Namen „Engelpfurz“.

Jacobus Theodorus Tabernaemontanus listet in seinem Kräuterbuch 1731 eine Fülle verschiedenster Anzeigen für die Engelwurz auf, beginnend bei A wie Augenleiden bis Z wie Zahnschmerzen. Früchte und Wurzeln gehörten einst in den Theriak, eine angepriesene Universalarznei gegen jegliche Leiden, insbesondere zum Austreiben von Giften aus dem Körper.

Wilde Angelik und Gartenangelika

Eine fast als Himmelstrank geschätzte, zwar bittere, aber durchaus wohlschmeckende Medizin wurde und wird bis heute von vielen Klöstern zubereitet. Namhafte Klosterliköre und Magenbitter wie Chartreuse, Bénédictine, Karmelitergeist, Melissengeist oder Boonekamp, aber auch der berühmte Schwedenbitter und nicht wenige Herzweine enthalten Engelwurz. Meistens steckt Erz-Engelwurz (Angelica archangelica) drin, die angesichts ihrer prachtvollen Gestalt in vielen Bauerngärten wachsen darf und auch feldmäßig angebaut wird.

Neben der übermannsgroßen Riesenstaude, der aus Ost- und Nordeuropa sowie Sibirien und dem Himalaya stammenden Gartenangelik, sieht die heimische Wald-Engelwurz, die wilde Angelik fast verloren aus. Deshalb gilt auch die Erz-Engelwurz, die im Unterschied grünliche Blüten in ballförmigen Dolden und stets runde Blattstiele bildet, als die Arznei-Engelwurz. Die Wald-Engelwurz wird zu Unrecht oft links liegen gelassen, manch einer will ihr gar die Heilkraft absprechen.

Kandiert, geräuchert, beduftet

Engelwurzstängel schmücken besondere Kunstwerke der Konditorei  wie Torten, Petit fours und Pralinen. Kandiert schmecken die hellgrünen Stäbchen nicht mehr so scharf und bitter, sondern frisch-würzig, ein wenig an Ananas erinnernd.

Getrocknete Wurzeln wie Früchte der Engelwurzen dienen seit alters her mit ihren Düften zur Reinigung. Durch Räuchern versuchte man Dämonen aus der Krankenstube und böse Geister aus dem Sterbezimmer zu verscheuchen. Heute sollen Engelwurzräucherungen Kraft spenden und die innere Mitte stärken, Licht ins Dunkel der Seele bringen.

Als Pulver hilft getrocknete Engelwurz, das Parfüm von Potpourris länger zu bewahren – es ist ein gutes Fixativ. Die ätherischen Öle, gewonnen aus Wurzeln und Früchten, werden in der Aromatherapie bei Nervosität, Schlafstörungen, Angst und vor allem auch bei Überbelastung mit Stress verwendet.

Dass Engelwurz, z.B. als Heilwein, ausgezehrten Leuten nach besonders schwerer Arbeit oder langer Krankheit wieder auf die Beine hilft, nutzt man in der Alternativmedizin zur Rekonvaleszenz, wenn Menschen erschöpft und ausgebrannt sind, am Burn-out-Syndrom leiden.

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