Sängerkräuter, Rednerpflanzen

Singen stärkt das Immunsystem, heißt es. Trällern hebt die Stimmung und lässt den Stresspegel sinken. Außerdem hat das Singen eine positive Wirkung auf die Stimme, da hilft auch schon zartes Summen. Wohltönend möchten wir uns mitteilen, miteinander kommunizieren – das heißt es gerade im Winter die Stimmbänder vital halten.   

Stimmgewaltig bleiben

Bloß nicht räuspern oder hüsteln, nicht den Hauch von Heiserkeit oder Halsweh zeigen. Sonst gerät man umgehend in Verdacht, krank zu sein. Aber eine raue und belegte Stimme, ein wunder und weher Hals sind ohnehin für jeden Sänger oder Redner ein Gräuel sondergleichen. Selbst wer dem Grundsatz folgt, dass Schweigen Gold ist, fühlt sich zumindest genervt, wenn’s im Hals-Rachen-Raum nicht flutscht. Treffen kann viele, von Politikern über Lehrer, Callcenter-Mitarbeiter, Moderatoren bis zu Dozenten. Aber auch Stimmbandakrobaten, Duschenträllerer oder Gelegenheitsjodler wie Quasselstrippen, Plaudertaschen oder Schwatztanten, selbst Schweigsame und Wortkarge bleiben von solchen Problemen nicht verschont. Also lautet die Devise, Stimmbänder und Rachenschleimhaut zu pflegen und intakt zu halten, um kläglichem Krächzen und kratzigen Schluckbeschwerden vorzubeugen. Ist nicht für bzw. gegen alles ein Kraut gewachsen?

Zum „Ölen“ der Stimmbänder

Amsel, Drossel, Fink und Star tirilieren nicht nur im allbekannten Kinderlied, sondern auch im wahren Leben. Ob die Vögel deshalb den leuchtend orangeroten Früchten der Eberesche (Sorbus aucuparia) verfallen sind? Lustgebüsch für gefiederte Sänger, so nennt man das zu den Rosengewächsen zählende Gehölz – und natürlich Vogelbeere. Leitet man den Gattungsnamen Sorbus vom Lateinischen sorbere = schlürfen her, dann wird aus der Vogelbeere die Schluckfrucht. Auch Volksnamen wie Moschbeer, Möschpa, Moschestaudn für den Fruchtstrauch oder Moscheler für den daraus gebrannten Schnaps verweisen auf Most, der als Mittel gegen Halsweh und weitere Leiden angeraten wurde. Tatsächlich hilft ja viel Trinken, die Schleimhäute feucht und damit abwehrfähig gegen Keime zu halten. Flüssigkeit versetzt mit Gerbstoffen und Pektinen wie Ebereschensaft ist da noch wirksamer.

Hals rau, Stimme weg? Dann vertraue auf Vogelbeeren! Ein paar getrocknete Früchte langsam lutschen und gründlich zerkauen oder einen Tee zum Gurgeln kochen, dafür eine halbe Handvoll trockener Vogelbeeren mit 500 ml Wasser 30 Minuten leicht köcheln und absieben, mehrmals am Tag damit gurgeln. Getrocknet oder gekocht sind Vogelbeeren alles andere als unbekömmlich, die in den rohen Früchten enthaltene Parasorbinsäure hat sich zersetzt und kann sich nicht mehr negativ auswirken. Dank der Gerbstoffe, Pektine und vieler weiterer Inhaltsstoffe gelten die roten Apfelfrüchtchen als so genannte Sängerperlen. Dazu trägt auch enthaltenes Sorbit bei, ein natürliches Feuchthalte- und Konservierungsmittel.

Kaisertee aus Königskraut

Der Kleine Odermennig (Agrimonia eupatoria, benannt nach König Mithridates Eupator, der aus dem Kraut ein Gegengift gegen alles gewann, daher Königskraut) ist heuer wirklich gut gewachsen, jedenfalls fiel er mir überall an Heckensäumen, Wald- und Wegrändern, sogar in meinem Garten ins Auge. Sollte ich das als Hinweis verstehen? Immerhin nennt sich das Rosengewächs mit den schlanken Blütenkerzen nicht nur Kleine Königskerze, sondern auch Sängerkraut, weil man einen Absud davon, mit Honig veredelt, seit alters her zur Pflege und Regeneration der Stimmbänder und gegen Heiserkeit einsetzt. Dereinst war Odermennig eine der wichtigsten Zutaten für das sog. Eau d`arquebusade, das Musketenschusswasser. Das Kräuterdestillat half nicht nur bei der Heilung von Schusswunden, sondern galt als universelle Arznei, nicht zuletzt auch bei Halsschmerzen und Schluckbeschwerden.

Der Tee aus den Blättern und Blüten (früher als Heilmittel gegen alles und jedes, deshalb Kaisertee) ist, obwohl reich an Gerbstoffen, sehr wohlschmeckend, das Aroma erinnert an Aprikosen. Er wirkt abtrocknend (nicht austrocknend), antibakteriell und antiviral, zudem antioxidativ. Odermennig ist aber auch als Heilmittel bei Hautleiden, Durchfall, Leberbeschwerden und Reizdarm bekannt. Zwar (noch) nicht nachgewiesen, aber in Tierversuchen belegt, soll Odermennig den Abbau von Stärke zu kleineren Bausteinen hemmen (α-Glucosidase-Hemmung im Dünndarm), wodurch Kohlenhydrate weniger schnell verdaut werden und der Blutzuckerspiegel weniger schnell ansteigt – in der TCM dient der Behaarte Odermennig (Agrimonia pilosa) seit jeher als Mittel bei Diabetes. Damit verdient der Odermennig eine Krone (Corona!). Ich gehe und hole mir eine schöne Tasse Odermennig-Tee, sprühe mit Odermennig-Extrakt in die Kehle. Odermennig wird auch Philanthrop genannt, weil er sich mittel seiner Klettfrüchtchen an jedem Menschen festhakt – oder sollte sich dieser Volksname darauf beziehen, dass die Pflanze in Sachen Heilwirkung den Menschen gut Freund ist?

Balsam für den Hals

Unscheinbar, nahezu schmalbrüstig steht die Wegrauke (Sisymbrium officinale) am Wegesrand. Doch alte Namen wie Apothekenhederich oder Heilrauke wie auch der Artzusatz officinale im botanischen Namen verweisen darauf, dass man von dieser Pflanze mehr als nur die kresseartig würzigen Blätter für Salat oder scharf schmeckenden Samen für Senf nutzt. Vor allem Heiserkeit ließe sich mit diesem Kraut vertreiben, so rühmen es viele Heilkundige. Das brachte ihm die Bezeichnung Sängerkraut ein.

Analog zum deutschen Namen heißt das Kreuzblütengewächs englisch „Herb of Singers“ bzw. „Singer’s plant“, französisch „Herbe de chantre“, italienisch „Erba dei cantanti“ oder spanisch „Hierba de los cantores“. Bereits Dioskurides, der wohl bekannteste Arzt der Antike, lobt die Wegrauke als Heilpflanze zur Behandlung von Katarrhen, also Schleimhautentzündungen, insbesondere der oberen Atemwege. Erysimum-Sirup (Erysimum war früher der botanische Gattungsname der Wegrauke, es leitet sich ab von griechisch „erysimon“ = Heilpflanze) galt zu Zeiten Ludwig XIV. als Wundermittel, das selbst stimmlosen Sängern zu umjubelten Auftritten vor dem Sonnenkönig verhalf. Aktuell wird das Wegraukenkraut vom Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel (HMPC, Committee on Herbal Medicinal Products, Fachgremium der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA) als traditionelles Arzneimittel eingestuft und in manchen Ländern der EU in diversen Zubereitungen auch verwendet. Hauptinhaltsstoffe des Krauts sind – wie bei einem Kreuzblütler auch kaum anders zu vermuten – Senfölglycoside oder Glucosinulate. Die vor allem in Samen enthaltenen herzwirksamen Steroide wurden als so gering dosiert eingestuft, dass keinesfalls mit einem Gesundheitsrisiko zu rechnen ist. Dennoch steht eine wissenschaftlich fundierte Bestätigung noch aus, dass Wegrauke tatsächlich bei Heiserkeit, Husten und weiteren Erkrankungen von Hals und Rachen hilft.

Bevorzugt wird das frische Kraut gegen Beschwerden eingesetzt, denn getrocknet verlieren sich die wertvollen Inhaltsstoffe. Man bereitet einen Tee oder einen Sirup daraus zu, der dann getrunken bzw. eingenommen wird – oder es wird mit einem Aufguss gegurgelt.
Natur tut gut Vogelbeeren sind alle schon gefuttert? Odermennig ist gemäht? Wegrauke lässt sich nirgend mehr finden? Kein Problem, für Sänger und Redner, ob beruflich oder ganz allgemein, bieten sich doch noch weitere Kräuter an: Gundermann, Braunelle, Günsel, Spitzwegerich, Isländisch Moos, Salbei, Eibisch…

Mehr zu Heilkräutern finden Sie in meinem Buch „Meine Wildpflanzen-Apotheke: 120 heilende Rezepte rund ums Jahr“ (ISBN 978-3818609658) aus dem Ulmer-Verlag.

Noch intensiver vermittle ich das Wissen um Heilkräuter im Zertifikatslehrgang Volksheilkunde – Hausapotheke aus Wildpflanzen. Der nächste startet als Online-Lehrgang am 12.-13. November 2022 – mehr Infos gibt es bei der Gundermannschule.com oder HIER.

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