Ein so bezaubernd blühendes Kraut, der Borretsch (Borago officinalis) – das kann doch nicht etwa giftig sein? Naja, Pflanzen lassen es sich halt nicht ansehen, ob sie etwas in sich haben, was wir Menschen nicht vertragen. So manche sehen echt verlockend aus, tun ganz unschuldig – etwa Fingerhut oder Oleander. Aber diese Wertung kommt aus unserer menschlichen Sichtweise heraus. Pflanzen „denken“ anders, sie wollen schlichtweg überleben, nicht aufgegessen werden. Ihre Reize entfalten sie gegenüber Lebewesen, die sie sich zunutze machen wollen (wie den Bestäubern), sonst sollte man es eher als Warnung verstehen, wenn ein Gewächs allzu attraktiv erscheint. Wie der Borretsch.
Das Raublattgewächs trägt lautmalerische Namen wie Blauhimmelstern, Liebäuglein, Herzfreude oder Wohlgemutsblume. Die beim Aufblühen kurzzeitig rosafarbenen Blüten werden bald himmelblau, wer kann da schon wegschauen? Früher war der Borretsch sogar als Heilpflanze gebräuchlich, das bezeugt der Artzusatz officinalis im botanischen Namen. Er wurde gegen Fieber, verschleimte Atemwege, Entzündungen, Wechseljahrsbeschwerden, Rheuma und andere Leiden eingesetzt. Viel bekannter ist seine Verwendung als Küchenkraut. Vor allem die großen, saftigen und deutlich nach Gurken schmeckenden Blätter kommen, obwohl rau behaart, gerne in Salate und Saucen. Berühmt ist der Borretsch als Bestandteil des Kräuterbündels für die Frankfurter Grüne Sauce. In England trinkt man ihn mit Pimm’s No. 1.
Und jetzt kommt der Wehmutstropfen: Borretsch enthält, als Fraßschutzmittel wie die meisten Raublattgewächse, Pyrrolizidinalkaloide (PA), darunter auch aus der besonders gefährlichen Gruppe der 1,2-ungesättigten PA. Diese gelten mindestens als lebergiftig mit Potential als Erbgutveränderer und Krebsverursacher. Verschärfend kommt hinzu, dass sich die PAs im Körper mit der Zeit akkumulieren. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) empfiehlt nach wie vor, diese kritischen Inhaltsstoffe in Lebensmitteln zu senken bzw. die Aufnahme so weit wie möglich zu vermeiden.
Man muss nicht einmal Borretsch selber essen, um solche PAs aufzunehmen. Manchmal ist Honig damit belastet, weil die Bienen am Borretsch Nektar sammeln und die PAs damit eintragen. Immerhin wird Borretsch als eine besonders wertvolle Trachtpflanze mit hohem Nektarwert angesehen. Wo sehr viel Borretsch wie auch andere PA-befrachtete Pflanzen blühen und die Bienen fleißig sammeln, bleibt es gar nicht aus, dass PAs dann im Honig landen.
Also Borretsch als giftig einstufen und künftig meiden? Die Blüten vom Borretsch gelten als weniger belastet, bei den Blättern bleibt man dagegen besser zurückhaltend. Ganz geringe Mengen, nur ab und zu verzehrt, gelten derzeit als tolerierbar. Trotzdem heißt es laut BfR, grundsätzlich eine breite Vielfalt an Lebensmitteln zu nutzen, insbesondere auch bei Wildkräutern nie einseitig zu werden. Man kann ja auf ähnlich schmeckende, aber unkritische Pflanzen ausweichen – wie wäre es mit dem Kleinen Wiesenknopf (Sanguisorba minor), dessen Blättchen ebenfalls deutlich nach Gurke schmecken?