Ritchie war wohlhabend, sehr sogar. Mit verbissenem Ehrgeiz hatte er sich nach oben gearbeitet, Karriere gemacht und Vermögen angehäuft. Es fehlte ihm an nichts. Villa, Yacht, Privatjet – jeder erdenkliche Luxus gehörten für ihn zum Alltag. Obwohl er allein von den Zinseszinsen seiner Geldanlagen bequemer als bequem hätte leben können, trachtete er doch nach mehr und mehr. Reich zu sein erschien ihm das wahre Glück des Lebens.
Reich, so sah sich Ritchie. Reich, weil er sich alles leisten konnte, was es für Geld gab. Reich, weil er dank seines Geldes nach Belieben Gefolge um sich scharen konnte. Reich, weil er mit Hilfe seines Geldes nach Gutdünken die Welt um sich seinen Vorstellungen anpassen konnte. Doch bald wurde Ritchie von einer Unruhe erfasst. Sein Puls schlug stolpernd, sein Nervenkostüm vibrierte knisternd. Anfangs achtete Ritchie nicht darauf, aber allmählich drang dies tiefer und tiefer, erfasste alle Fasern seines Körpers. Ritchie konnte nicht einmal mehr seinen Kopf, seine Gedanken davon frei halten. Wütend versuchte er, sich durch noch mehr Arbeit und Anstrengung frei zu kaufen. Er beauftragte Trainer und Therapeuten, ihm das unsichtbare Gewürm aus seinem Inneren zu vertreiben. Nahm Pillen, quälte sich mit Sport, unterzog sich verschiedenster Kuren.
Nichts half. Keine Ablenkung, kein guter Ratschlag, keine Diät. Ritchie litt und wurde krank. Psychosomatische Störungen, so lauteten die Diagnosen. Immer neue Therapien und Medikamente, Heilversprechen und Wundermittelchen, eins teurer und aufwändiger als das andere, schwatzte man ihm auf. Nur, keiner der vielen Ärzte und Heiler konnte das Elend aufhalten. Ritchie fühlte sich, als ob sein Herz blutete. Entsetzt musste er feststellen, dass sein Reichtum ihm nichts mehr nutzte. Er fühlte sich arm, sehr arm. Arm, weil sein Herz immer leerer wurde. Arm, weil er keine Freunde hatte, die es mit ihm wieder füllen wollten. Arm, weil keiner kam ihn zu trösten und seine Seele zu nähren.
Verzweifelt fasste Ritchie einen Entschluss. Um sein ausblutendes Herz zu heilen, seine arme Seele zu bereichern, wollte er sein bisheriges Leben hinter sich lassen. Und völlig neue Wege gehen.
Ritchie tauschte seine riesige, komfortable Villa mit einem winzigen, schlichten Schäferwagen. Er zog mit einem alten Mann, einem Schäfer aus Leidenschaft, über die Fluren und lernte, Schafe zu hüten. Eine große Herde musste versorgt werden, wollte täglich Futter und Zuwendung. Schwere Arbeit für wenig Geld. Und doch reich vergütet. Durch ein warmherziges Lob vom Alten, einen dankbaren Stups der Schafe, einen treuen Blick der Hütehunde. Das dunkle Grün der Wälder, die farbige Fülle blühender Wiesen, der Duft würziger Kräuter, die Frische des Wassers am Bach – einfach unbezahlbar. Nach kurzer Zeit ging es Ritchie viel besser. Ruhe kam über ihn. Aber reich? Reich fühlte er sich noch nicht wirklich. Sein Herz hatte zwar aufgehört zu bluten, war jedoch immer noch arm.
Ritchie machte seine gesamten Güter zu Geld und steckte das in kleine herzförmige Kapseln, seiner Schäfertasche nachempfunden. Wohl dosiert, immer nur in kleinen Mengen. Viele, viele Kapseltäschchen waren nötig, um alles unterzubringen. So wollte Ritchie seinen Reichtum mit möglichst vielen teilen, um seine Herzensarmut zu überwinden. Täglich ließ er ein paar wenige der Täschchen am Wegrand liegen, wenn er mit dem alten Schäfer und den Schafen durch die Gegend zog. Wer sie fände, sollte eine kleine Portion Reichtum erhalten, aber eben nur eine kleine. Die sollte das Herzblut beruhigen und die Seele bereichern. Ritchie wollte, dass die Leute weiter Ausschau hielten nach den kleinen Freuden, nach den wahren Werten des Lebens.
Es kostete Ritchie ungezählte Tage, seine Täschchen zu verteilen. Erst verstreute er sie entlang seiner Streifzüge. Erstaunt bemerkte er, dass überall dort kleine Blattrosetten aus der Erde sprossen. Aus deren Mitte hoben sich dünne Stängel, daran zierliche weiße Blütchen. Nun befestigte Ritchie seine Kapseltäschchen auch an diesen Stielen.
Obwohl die Wege viel begangen waren, achtete kaum jemand auf die Blattrosetten und erst recht nicht auf die Täschchen. Bloß Grünzeug, bloß Unkraut, nichts wert. Zum Bücken zu schade. Ritchie ließ sich trotzdem nicht beirren, geduldig brachte er Täschchen um Täschchen aus. Sein Vorrat daran schien sich nicht zu verringern.
Irgendwann, Ritchie wanderte mal wieder mit der Schafherde über Wiesen, beugte sich eine junge Frau über einen Stängel mit den Täschchen. Als ob sie etwas vom Reichtum in den herzigen Kapseln zu ahnen schien, streifte sie die Herztäschchen vom Stiel und zupfte noch einige Blätter der Rosette. Ritchie sah ihr erstaunt nach. Am nächsten Tag begegnete er der jungen Frau wieder, die mit flinken Fingern alle Täschchen einsammelte, die sie fand. Was sie an den Täschchen fände, fragte er sie. Die junge Frau antwortete, dass sie in den Täschchen unermesslichen Reichtum gefunden hätte. Reichtum, der allein dem etwas bedeute, der ihn auch erkenne. Keine klingende Münze, keine Dollars oder Euros, kein Gold, keine Edelsteine, nein, etwas viel Höheres. In den Täschchen sei die Würze des Lebens und das Heil der Welt.
Ritchie fühlte, wie sich sein Herz mit Freude füllte – er war endlich richtig reich.
Reichtum liegt einem altem Spruch zufolge auf der Straße. Bisweilen in kleinen Herzen am Wegesrand – in Hirtentäscheln, auch bekannt als Capsella bursa-pastoris. Man muss den Reichtum nur aufzuheben wissen…