Sonne und Mond lebten anfangs zusammen als junge Familie und bekamen viele Kinder, die Sterne. Mit den Jahren wurden es immer mehr, bis der Himmel schließlich zu eng wurde. Da besorgte Mutter Sonne Stoff in blauer Himmelsfarbe, um das Himmelzelt zu erweitern. Der Stoff lag in langen, geraden Bahnen. Weil aber der Himmel gewölbt war, musste sie ihn zerschneiden. So blieben nach getaner Näharbeit viele Flicken Himmelsstoff übrig.
Weil die Sonne die Stoffreste nicht wegwerfen wollte, steckte sie alle in ihre Tasche. Und fragte das Meer, ob es nicht Verwendung dafür hätte. Das Meer fand die Farbe zwar sehr passend, meinte aber, dass seine Grenzen viel zu unermesslich seien, als dass es mit den Flicken etwas anfangen könnte. Also besuchte Mutter Sonne die Eis- und Schneefelder. Die hätten das Blau gerne zu ihrem Weiß kombiniert, doch wären die blauen Flicken nur allzu schnell unter neuem Schnee und Eis wieder verschwunden. deshalb lehnten auch sie ab. Der Regenwald lehnte die blauen Flicken ebenfalls ab, denn sie würden in seiner schillernden Vielfalt seiner Meinung nach überhaupt nicht auffallen. Keiner wollte die blauen Himmelsflicken von Mutter Sonne haben. Mit der Zeit vergaß Mutter Sonne, was sie in ihren Taschen bei sich trug.
Eines Tages Abend wanderte die Sonne über ein schönes Kornfeld. Sie bemerkte einen Bauern, der fröhlich ein Lied summend nach Hause ging, trotz all der schweren Arbeit, die er tagsüber verrichtet hatte. In einer Hand trug er einen Strauß Blumen bei sich. Mutter Sonne fragte ihn verwundert, ob er denn nicht erschöpft sei? Nein, meinte der Bauer, denn mein Getreideacker ernähre nicht nur seinen Leib, sondern auch sein Herz. Er nähme jeden Abend ein paar Blumen mit nach Hause, die zwischen den goldenen Ähren wuchsen. Sein Essen würde ihm nochmals so gut schmecken, wenn er sie seiner Frau geschenkt hätte und er ihre leuchtenden Augen sähe.
Der Bauer zeigte der Sonne die Blumen von seinem Kornfeld. Sie waren so blau wie das Himmelszelt. Heimlich fasste Mutter Sonne in ihre Tasche. Ach herrje, die hatte ja ein Loch – und ein Teil der Himmelflicken fehlte. Aber jetzt wusste die Sonne, wohin mit den restlichen Himmelsflicken. Und verstreute sie großzügig über unzählige Kornfelder, wo bald viele, viele Kornblumen blühten. Auf dass viele, viele Menschen eine große Freude hätten.
Nacherzählt nach einem Märchen aus Estland
Ach wie schön! ich liebe Kornblumen und bedaure dass, seit meiner Kindheit, immer weniger in den Kornfeldern zu sehen sind. Gebt ihnen wieder Lebensraum!