Es war dereinst ein Gewächs, das fühlte sich zu hehrem Tun berufen. Die Welt, zumal die florale, müsse besser werden, und dazu bedürfe es der Aufklärung. Es könne doch nicht sein, dass die einen Pflanzen niedrig blieben oder nur unscheinbare Blüten trügen, während andere sich groß hervortaten und auch noch riesige Köpfe zur Schau stellten. Wie bedauernswert erschien ihm die benachbarte Gundelrebe, die mit dünnen Trieben über den Boden kroch, immer im Schatten der stolzen Königskerze und der hoch aufragenden Klette. Hochnäsig dagegen mutete ihm der Bärenklau auf der Wiese an, mit seinen vermessen bemessenen Blättern und Blütenstielen, über allen Gräsern sich im vollen Lichte sonnend.
Ob sie nicht mehr in die Höhe wachsen wolle, fragte unser Gewächs die Gundelrebe nebenan, und prächtigere Blüten tragen. Diese hörte aber gar nicht zu und rankte einfach ein Stückchen weiter, rundliche Blättchen voller Würze treibend. Unser Gewächs reckte sich, um der Gundelrebe hinterher zu eilen. Ob sie es nicht leid sei, ewig Duckmäuser zu bleiben, keine Beachtung zu finden. Noch immer reagierte die Gundelrebe nicht, sondern schlug an den Blattknoten ein paar feine Würzelchen in den Boden und schob ihre Spitze ein wenig mehr vor. Jetzt musste unser Gewächs tief Luft holen, einen kräftigen Schluck Wasser samt Mineralien tanken und seinen Stängel aufs Äußerste dehnen, um der unbeirrten Gundelrebe folgen zu können. Ihre Rechte auf eine gerechte Verteilung der Eigenschaften wolle es übernehmen, rief unser Gewächs ihr nach. Doch die Gundelrebe schüttelte nur sanft ihre Blattpaare und kroch unbeirrt weiter durchs Gebüsch.
Wenn die Unterdrückten ihre Möglichkeiten nicht erkennen, dann sollten die Mächtigen einsehen, dass sie etwas von ihrer Macht und Pracht abrücken müssen. Dachte sich unser Gewächs und hatte dabei den Bärenklau im Visier. Doch bis zu den hohen Herrschaften in den oberen Schichten ist es stets ein steiler, weiter Weg. Unser Gewächs mobilisierte alle Reserven, zog und zerrte an seinen Wurzeln, blähte sich enorm auf. Trotz aller Anstrengungen blieb es jedoch immer noch weit entfernt. Weil es aber gar so überzeugt von seiner Mission war und sich eine unsägliche Sturheit in ihm breit machte, rissen einige Würzelchen ab. Es plusterte sich auf, pumpte über die verbliebenen Erdverbindungen Wuchskraft fördernden Stickstoff durch seine Adern. Trieb seine Spitze zum Äußersten.
Besessen von der Idee, den Bärenklau zu guten Taten zu drängen, gelang unserem Gewächs das Unfassbare. Es ließ seine Bodenhaftung hinter sich. Riesig war es geworden, aufgebläht, mit überlangen Stängeln, flatterhaften Blättern. So gelangte es tatsächlich in Rufweite zum Bärenklau. Mit dröhnender, drohend erhobener Stimme eiferte unser Gewächs dem Bärenklau zu, dass er sich gefälligst etwas zurückzunehmen, sein Blattwerk tunlichst kleiner zu halten und weniger imposante Blütendolden zu bilden habe. Dem Bärenklau aber wurde nicht bange, ihm lief nicht einmal ein leiser Schauder über seine dicken Blattstiele. Einem solchen aufgeblasenen Gernegroß zollte er keinerlei Aufmerksamkeit.
Unser durch Nichtachtung gestraftes Gewächs wurde jetzt richtig wütend. Das sollte doch mit dem Teufel zugehen, wenn es seine salbungsvollen Grundsätze zur Verbesserung der Welt nicht durchsetzen könnte. Die sollten ihn kennen lernen. Die eine zu dumm, der andere zu arrogant – na wartet. Dann muss ich euch wohl mal zeigen, wo der Bartel den Most holt. Und wie es auf unserer Welt so häufig kommt, erwuchs in unserem anfangs so wohlgesonnenen Gewächs der Starrsinn, funkte gar ein bisschen Wahnsinn durch. Dabei spross nichts als Unsinn.
Allen Pflanzen würde es das Grünen verbieten, keine dürfte mehr bunte Blüten tragen. Es selbst würde streng darüber wachen, dass im Pflanzenreich alles nur noch nach seinen, von ihm ersonnenen Regeln liefe. Vor lauter Ärger und Aufregung schwoll unser Gewächs heftig an, die Blätter vibrierten, die Leitbahnen im Stängel pulsierten, die Zellwände liefen lila an. Ich, ich allein, werde euer Leitbild sein, tönte es hochmütig. Als Retter der Pflanzenwelt gebühre ihm auch ein Abzeichen, meinte es, und färbte eines seiner Blätter golden.
Unbeeindruckt von dem Spektakel, das unser Gewächs da abzog, wuchsen Gundelrebe, Bärenklau und all die anderen Pflanzen weiter. Keine neidete der anderen ihre Gestalt, ihre Blüten oder ihre Düfte. Alle waren zufrieden mit der großen Vielfalt, so blieb für jede von ihnen ein Platz zum Leben. Je länger sie unser durchgedrehtes Gewächs links liegen ließen, desto mehr echauffierte sich dieses. Doch darüber vergaß es ganz, dass es ja seine Erdverbundenheit verloren hatte. Die Sonne schien, ein warmer Wind blies. Der Welkepunkt war längst überschritten, unserem bornierten Gewächs ging die Puste aus.
Es sackte in sich zusammen, seine Blätter schrumpften und schrumpften, das Gold verschwand, zurück blieb schlichtes Graugrün. Schließlich war nur noch ein Häuflein wirrer, dürrer Triebe übrig. Das käme davon, wenn Respekt, Anstand und Moral, dazu noch gute Vorsätze missbraucht werden, murmelte der Bärenklau. Demut stünde ihm viel besser an, raunte die Gundelrebe ihm zu. Unser Gewächs duckte sich tief. Fortan übte es sich darin, der Pflanzenwelt ein gutes Beispiel für Bescheidenheit zu geben. Einmal im Jahr, im Frühsommer, da glimmt sie wieder auf, die alte Unbeherrschtheit – in Form einer dicken Wolke aus schimmernden Blüten und goldüberhauchten Blättchen. Aber nur kurz. Unser Gewächs hat gelernt, dass es besser ist, sich in Zurückhaltung zu üben. Hochmut kommt vor dem Fall, Demut meist erst danach. Kein Gewand kleidet schöner als Demut.