Zu schade zum Übersehen

Wo im Wald sich gerade Teppiche aus Buschwindröschen, Lerchensporn, Leberblümchen, Immergrün und anderen Frühlingsblühern ausbreiten, bleibt ein Blümchen meistens übersehen. Sein botanischer Name: Adoxa moschatellina. Klingt melodisch, bedeutet so viel wie „wenig beachtetes Pflänzchen mit Moschusduft“.

Genau geschaut – und tatsächlich gefunden!

Blumige Würfel

Gemeint ist ein kleines, unscheinbares Kraut, das Bisam- oder Moschuskraut genannt wird. Es soll vor allem abends nach Moschus duften (nach verschiedenen Quellen angeblich bereits zu bemerken, wenn man neben dem Pflänzchen kniet – ich konnte bisher aber niemals etwas erschnuppern), um Fliegen zur Bestäubung anzulocken. Wer es entdeckt, wird von der Gestalt völlig fasziniert sein. Anmutig gefiederte Blättchen (die mich an Erdrauch erinnern), jeweils fünf hellgrüne Blütchen in einem würfelförmigen Blütenstand – daher der Name Würfelblümchen. Während die obere Blüte aus zwei Kelch- und vier Kronblättern besteht, setzen sich die vier seitlichen aus drei Kelch- und fünf Kronblättern zusammen.

Bild aus wikipedia: Krzysztof Ziarnek, Kenraiz

Nach Bestäubung rollen sich die Stängel spiralig ein, so dass die reifenden Fruchtstände sich zur Erde neigen. Es sind kleine Steinfrüchte – sie sollen nach Erdbeeren duften (habe ich noch nie bemerkt). Wie die Verbreitung geschieht, ist nicht ganz geklärt, es kommen neben Selbstausbreitung, Ameisen und Vögeln auch Schnecken als Helfer in Frage.

Moschuskraut (Adoxa moschatellina)
Gewöhnlicher Schneeball (Viburnum opulus)

Kaum zu glauben, dass dieses niedliche Blümchen namensgebend für eine ganze Pflanzenfamilie ist: die Moschuskrautgewächse (Adoxaceae). Darin versammelt sind vier Gattungen mit rund 220 Arten, darunter Holunder (Sambucus) und Schneeball (Viburnum).

Der Schriftsteller Julius Wolff (1834-1910), der zu den Butzenscheibendichtern gehört, hat das Moschuskraut in einem seiner Werke mit aufgenommen, hier ein Auszug:
Den ganzen, bunten Blumenflor.
Hornköpfchen fängt den Reigen an
Mit Moschuskraut und Bärentraube,
Steinsame, blauer Gundermann
Und Purpurnessel dann, die taube,
Maiglöckchen, Himmelsschlüsselein,
Maßlieb, Windröschen blühn, die weißen
Erdrauch, Sinngrün, Gedenke mein,
Goldmilz, und wie sie Alle heißen,
Die Erstling‘ in dem vollen Kranz,
Womit der Wald sich festlich gürtet,
Eh‘ er die Spielleut‘ ruft zum Tanz
Und seine Gäste reich bewirthet.
Aus: Julius Wolff, Der wilde Jäger – eine Waidmannsmär, II. Frühling

Die schönste Beschreibung habe ich bei Wilhelm Lehmann (1882-1968) gefunden:
„Um den seltenen Mittagsaugenblick herum, wo den Wind selbst ein wenig schläfert, da, wo die Heckenäste schützen, glaubt man zu sehen, wie das Moschuskraut sich selbst auswickelt. Wie feingehäkelte, grüne Schalspitzen quellen seine Blätter; aber auf kurzem Stiel sitzt die Knospe noch wie eine verschlossene Dose. Erst wenn eine warme Nacht sich auf die gequälte Erde wagt, springt die Dose auf, und ein Duft, ich finde ihn dem der Zitrone ähnlicher als dem des Moschus, beschenkt die wartende Luft.“
Aus: Wilhelm Lehmann, Bukolisches Tagebuch, Lehmanns Flora

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