Herbstzeitlosen

Es lässt sich nicht mehr verleugnen: der Herbst hält Einzug. Aber kein Grund zur Wehmütigkeit, im Gegenteil. Gilt nicht der Herbst als zweiter Frühling? Und zeigt sich der Reichtum der Natur nicht je besser als jetzt?
„Man sieht die Blumen welken und die Blätter fallen, aber man sieht auch Früchte reifen und neue Knospen keimen. Das Leben gehört den Lebendigen an, und wer lebt, muss auf Wechsel gefasst sein.“ Johann Wolfgang von Goethe
Und es gibt doch immer noch Unverzagte, Herbstblüher wie die Herbstzeitlose (Colchicum autumnale). Michaelisträußerl, Ägidiblimele, Kirtabliml, Schulblume nennt man sie auch – alles Hinweise auf die Jahreszeit (Michaeli 29.9., Ägidius 1.9.). Das Erscheinen der krokusähnlichen Blüten zeigt nicht nur an, dass Kirchweih gefeiert wird, sondern dass auch ein neues Schuljahr beginnt! Phänologisch gehört die Herbstzeitlose wie auch der Schwarze Holunder (Sambucus nigra) zu den Zeigern, dass der Frühherbst beginnt.

Erkennungsmerkmal der Herbstzeitlose: SECHS Staubgefäße

Fesch, und doch auch ein bisserl frivol

Nackerte Jungfer, Nackate Kathl, Faule Gretl, Hemdenmatz (wissen Sie, was eine Matz ist?), Sohn vor dem Vater, Pfaffenbeutel, Geißenbollen, Rammelbeutel… nicht eben ersprießlich, diese Namen für solch ein apartes Gewächs. Aber die Wuchsform und das Verhalten der Herbstzeitlose sind schon seltsam. Sie blüht, wenn andere fruchten, sie fruchtet, wenn andere blühen. Während der Blütezeit hat sie keine Blätter, während der Blattphase keine Blüten. Unter der Erde trägt sie Knollen (welche die Leute an Hoden erinnert haben), über der Erde bildet sie aufgeblasen wirkende Früchte.

Drei lange Griffel fangen den Blütenstaub andere Blüten auf, den Insekten mitbringen

Apart, aber voller Malice

Kuhgift, Ziegentod, Teufelswurz, Hexenschlotte – alle diese Namen bezeugen, dass es sich bei der Herbstzeitlose um eine Giftpflanze handelt. Vom botanischen Sondergarten Wandsbek in Hamburg zur Giftpflanze des Jahres 2010 gekürt. Alle Teile enthalten Alkaloide, hauptsächlich Colchicin. Bereits geringe Mengen der Pflanze können zu schweren Vergiftungen führen. Das äußert sich in Brennen und Kratzen in Mund und Rachen, Schwitzen, Erbrechen, Koliken, schweren Durchfällen, Kreislaufstörungen, Benommenheit und Lähmungen bis zum Koma. Bei entsprechender Dosis tritt nach ein bis drei Tagen Tod durch Herz- und Atemlähmung ein. Und doch kann das Gift sehr nützlich sein, Colchicin wird in der Heilkunde gegen Gicht eingesetzt, in der Medizin als Mittel gegen Tumorwachstum erforscht und in der Pflanzenzüchtung zur Erzielung besser fruchtender Nutzpflanzen verwendet.

Am Ansatz der Staubgefäße finden Insekten Nektar

Verführerisch, aber unheilschwanger

Während die Blätter der Herbstzeitlose nicht mit denen des Bärlauchs (Allium ursinum) verwechselt werden dürfen, muss man sich bei den Blüten in Acht nehmen, dass man sie keinesfalls für Krokusse (von denen es nicht nur Frühlingsblüher, sondern eben auch im Herbst blühende Arten gibt) hält. Leider schon vorgekommen: Herbstzeitlosen wurden mit Safrankrokussen (Crocus sativus) verwechselt (mit fatalen Folgen!). Wer bis sechs zählen kann, ist gut dran: Krokusse haben drei, Herbstzeitlosen dagegen sechs Staubgefäße.
Um Kinder vorm Pflücken der Giftpflanze abzuhalten (Verbote reizen zum Übertreten), erzählte man ihnen, dass der Herrgott über abgemähte, kahle Wiesen gegangen ist und unter seinen heiligen Füßen Tausende von Herbstlilien (Herbstzeitlosen) aufgewachsen sind, die nackte Wiese sich in ein Blütenmeer verwandelt hat. Solche heiligen Blumen muss man respektvoll behandeln, wenn man ein artiges Kind sein will. Man darf sie nicht zertreten, pflücken oder gar ausreißen – immerhin werden die Blumen doch sogar von den Kühen auf der Weide verschont.

Kapselfrüchte mit Samen erscheinen erst im nächsten Jahr

Schmuck, und zugleich smart

Der aus der schuppigen Knolle sprießende Stängel der Herbstzeitlose bleibt im Moment ganz kurz und unter der Erde. An seiner Spitze entfaltet sich die aus sechs miteinander verwachsenen Hüllblättern gebildete Blüte. Diese hat eine lange, sehr lange Röhre, die bis tief in den Boden reicht. Gut geschützt sitz unten der Fruchtknoten, nur die sechs Staubgefäße und die drei Griffel ragen bis in den Kelch empor. In ihnen finden vielerlei Insekten noch Nektar und bestäuben die Blüte dabei. Gut geschützt vor den Unbilden des Winters überdauert der oberständige, dreifächrige Fruchtknoten im Untergrund.
Im Folgefrühjahr wächst der anfangs stark gestauchte Spross allmählich nach oben und schiebt dabei die reifende Frucht samt den Laubblättern empor. Die in den Blättern produzierten Bau- und Reservestoffe kommen z.T. der reifenden Frucht, vor allem aber dem unteren Ende der Sprossachse zugute, dort bildet sich eine neue Knolle. Diese junge Knolle zieht zusätzlich Nährstoffe aus der alten ab und ersetzt diese schließlich. Die blasig aufgeschwollene Kapselfrucht zwischen der Blattrosette reift im Frühsommer. In ihr stecken zahlreiche kleine Samenkörner. Sie haben Klebwarzen (weiße Anhängsel), verschleimen miteinander zu gallertigen Klumpen und haften sich an (Weide-)Tiere an, die auf die „hässlichen“ Kapseln treten.

Bienen stürzen oft tief in den Herbstzeitlosenkelch ab, weil die Blütenblattoberflächen extrem glatt sind. Sie müssen sich dann sehr anstrengen, um im Gewirr von Staubfäden und Griffeln irgendwie Halt zu finden und wieder nach oben ins Freie zu kommen. Absicht? Wahrscheinlich, damit wird die Bestäubung gesichert.

Nicht geschützt, doch erhaltenswert

Weidetiere meiden in aller Regel die Herbstzeitlosen. Sie schmecken ihnen nämlich nicht, sie sind stark bitter. Sogar in Heu und Silage (Colchicin bleibt jahrelang wirksam) sondern erfahrene Tiere die Herbstzeitlosen aus, solange das Futter nicht zu stark gehäckselt ist. Schafe und Ziegen scheinen weniger empfindlich zu sein. Sie fressen bisweilen größere Mengen an Herbstzeitlosen, ohne selbst Schaden zu nehmen. Allerdings enthält dann die Milch dieser Tiere das Gift – und kann so dem Menschen gefährlich werden. Deshalb dulden Landwirte die Herbstzeitlosen im genutzten Grünland nicht, sie greifen schon bei zwei Pflanzen pro Quadratmeter regulierend ein.
Doch was passiert, wenn Herbstzeitlosen keine Toleranz mehr erhalten? Feuchte, nährstoffreiche Wiesen und lichte Auwaldbereiche, angestammte Lebensräume der Pflanze, werden ohnehin immer seltener. Wiesen schwinden – die Artenvielfalt nimmt ab.
Geben wir den Herbstzeitlosen doch einen Rückzugsraum: im Garten! Viele Gärten bieten den ästhetischen Knollenpflanzen beste Lebensbedingungen und Gartenbesitzer profitieren von einer herrlichen Herbstzierde. Nicht nur Krokusse in Rasen und Kräuterwiese, sondern auch Herbstzeitlosen!

Danke an Simone Braun, die mit viel Entdeckerfreude die Herbstzeitlosen in Szene gesetzt hat!

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