Gänseblümchen

Ein kleines Gänseblümchen wollte mitten im Rasen wachsen. Das war nicht ganz einfach, gab es doch dort viele Gräser, die ihm den Platz nicht einfach frei machten.

Hier sei ein Rasen, meinten Schwingel, Lolch und Schmiele, der gehöre nur Grasartigen. Nur sie wüssten, wie man sich hier behaupte. Immerhin seien sie eine besondere Gemeinschaft. Ein Gänseblümchen habe da nichts, aber auch schon überhaupt nichts zu suchen. Aber das Gänseblümchen war etwas stur und hatte sich just diesen Ort zum Gedeihen ausgesucht. Es druckelte und muckelte es hier ein bisschen, schubbelte und schubberte dort ein wenig die Gräser zur Seite, indem es mit kräftigem Wachsen seine Blättchen entfaltete. Nicht aufzuhalten. Und als es das erst einmal geschafft hatte, mussten sich die Grashalme fügen. Das Gänseblümchen hatte sich bald mit einer Blattrosette so richtig eingerichtet im Rasen und sonnte sich in seinem Erfolg. Nun wollte es auch blühen, denn danach steht schließlich jedem Pflänzchen der Kopf.

Also ruckelte und guckelte das Gänseblümchen. Und schwupps, entstand eine hübsche Knospe in seiner Blattrosettenmitte. Es war eine kleines kugeliges Etwas, das sich tief zwischen die Blattansätze duckte. Kaum zu fassen. Im nächsten Moment rackelte und zackelte das Gänseblümchen, um diese kleine kugelige Knospe in die Höhe zu schieben, an einem Stängel. Und hast du nicht gesehen, ragte die Knospe schon weit empor, reichte den Gräsern bis an die Spitzen. Das Gänseblümchen wiggelte und waggelte, schickte reichlich süßen Saft durch den Stängel zur Knospe. Und da schau her, schon ging die Knospe auf. Zuerst waren nur weiße Spitzchen zu erkennen. Das Gänseblümchen giggelte und guggelte, da erblühte das Knöspchen vollends. Ein weißer Strahlenkranz rund um eine goldgelbe Scheibe. Einzigartig. Sogleich summte es um die Blütenkrone herum, kamen Bienen und Hummeln herbei. Das Gänseblümchen wiegte sein Blütenhaupt sachte und schwenkte seine Blättchen wohlig. Ganz alleine habe ich das geschafft, dachte es selbstsicher. Jetzt vertreibt mich hier niemand mehr.

Das liebliche Summen wurde plötzlich durch ein Sirren übertönt. Sirr, schwirr, sirr, schwirr, ging es im Rhythmus, ab und an unterbrochen von ritsch, ratsch, ritsch, ratsch, ritsch, ratsch. Das unangenehme Geräusch nahm zu, kam näher, wurde bedrohlicher. Die Gräser neben dem Gänseblümchen gerieten ins Zittern. Sirr, schwirr, ein metallisches Zischen jagte durch das Rasenstück – und ab war der hübsche Blütenkopf. Die Sense hatte den Stängel durchtrennt, abgeschnitten wie viele, viele Gräser nebendran. Da lagen sie nun, die Halme und das Blütenköpfchen, und verdorrten. Das Gänseblümchen war gehörig erschrocken. Seiner Blattrosette war nichts passiert, die Sense hatte knapp darüber geschwungen. Aber seine Blüte war dahin. Hatten wir dir nicht gesagt, warnten die rasierten Gräser erneut, dass ein Rasen nicht für einzelne Blümchen geeignet ist? Das Gänseblümchen blieb eigensinnig. Es rappelte und zappelte, und schwupps, hatte es eine neue Knospe, eine neue Blüte gebildet. Erstaunlich. So, ich werde es allen zeigen, dachte sich das Gänseblümchen. Von wegen, im Rasen ist kein Platz für mich.

Eine ganze Weile streckte das Gänseblümchen sein Sternenblütenköpfchen dem Himmel entgegen und freute sich über den Besuch der Bienen und Hummeln. Da hörte man neuerlich ein merkwürdiges Geräusch. Schnurps, schnurps. Den Gräsern lief ein Schauer über die schmalen, schneidigen Blätter. Schnurps, schnurps. Bevor das Gänseblümchen fragen konnte, was da nun schon wieder vor sich ging, war es halb abgezwackt. Blütenkopf, Stängel und die halbe Blattrosette waren verschwunden. Zwischen den Zähnen einer Ziege, die genüsslich die Rasenfläche abgraste. Schnurps, schnurps. Dem Gänseblümchen war ganz elend zumute. Jaja, meinten die ebenfalls abgebissenen Gräser, im Rasen ist es gefährlich, lebensgefährlich, vor allem, wenn man auf sich allein gestellt ist. Das Gänseblümchen jedoch machte sich trotzig daran, zu schnuggeln und zu schnaggeln, um seine Verluste so schnell als möglich wett zu machen. Ruckzuck stand es wieder in frischem Glanze da. Faszinierend. Seht ihr, ich kann das doch. Ganz alleine.

Und es entfaltete noch ein paar neue Blättchen und hätte fast noch ein zweites Knöspchen getrieben, wenn nicht tripp, trapp, schon wieder ein unheilbringendes Stakkato über den Rasen zog. Tripp, trapp, die Gräser lagen am Boden, gebeugt und zerdrückt. Rupf, schon war das Gänseblümchen fast entwurzelt. Bis auf einen kleinen Rest war es von der Hand eines kleinen Mädchens gepflückt. Die geknickten Gräser schüttelten ihre Rispen und Ähren. In einem Rasen habe ein Blümchen allein keine Chance, mahnten die Gräser. Das Gänseblümchen indes wollte nicht weichen. Immerhin dachte es darüber nach, was die Gräser ihm gesagt hatten. Alleine hat man keine Chance.

Es streckte seine verbliebenen Würzelchen tiefer in den Boden und saugte alles an Wasser und Nährstoffen auf, was es kriegen konnte. Es druckelte, muckelte, ruckelte, guckelte, rackelte, zackelte, wiggelte, waggelte, giggelte, guggelte, schnuggelte, schnaggelte, was das Zeug hielt. Und kaum hatte man sich umgesehen, trieb es neue Würzelchen, neue Blättchen, neue Knöspchen, neue Blütenkörbchen. So schnell es nur irgend konnte. Unglaublich. Schon bald war es zu einer stattlichen Pflanze herangewachsen, mit mehreren Blütenstielen. Die ersten Früchte reiften heran und wurden vom Regen, vom Wind verstreut. Unter der Erde streckte das Gänseblümchen seine Wurzeln weit, weit umher, bis es an einigen Stellen im Rasen nach oben hindurchbrach und zusätzliche Blattrosetten trieb. Und man staunte, wie viele Blattrosetten und Blütenköpfchen jetzt zwischen den Gräsern sprossen, das Grün des Rasens weiß tupften. Eine Gänseblümchengesellschaft.

Die Sense hieb einigen zwar die Blütenköpfchen ab, nicht wenige entgingen jedoch dem scharfen Messer. Die Ziege fraß eine Menge davon, war aber bald so satt, dass sie kein Blatt mehr mochte und übers Gräbelein davon sprang. Als das Menschenkind kam, staunte es über die vielen Gänseblümchen im Rasen. Es wollte einen dicken Strauß davon pflücken, hielt aber inne. Was war das für ein Anblick. Das Mädchen konnte sich gar nicht entscheiden, welches Gänseblümchen es pflücken sollte. Eins war schöner als das andere, eins schien begehrenswerter als das andere. Es mochte schließlich alle verschonen, einfach nur wachsen lassen und sich freuen an der bunten Blumenmatte.

Das Gänseblümchen aber hatte begriffen. Allein kommt man weit, gemeinsam jedoch viel weiter. Und es macht mehr Freude. Ab sofort suchte das Gänseblümchen die Geselligkeit – und nicht nur das aus dieser Geschichte, sondern alle Gänseblümchen auf der Welt. Kein Rasen, keine Grünfläche, wo sich Gänseblümchen nicht innerhalb kurzer Zeit vervielfachen. Und jedwede Gelegenheit am Schopfe packen, um zu wachsen, zu blühen und zu fruchten. Ob im Sommer oder im Winter, wie jetzt. In ihrer Gemeinschaft sind Gänseblümchen so stark, dass nichts und niemand sie je ausrotten kann.

Nicht einmal Menschen, welche von Natur nichts verstehen, vermögen Gänseblümchen zu vernichten. Was für Pflänzchen!

1 Gedanke zu „Gänseblümchen“

  1. von Herzen danke ich für diese unglaublich schöne und wahre Geschichte! Gänseblümchen aller Welt, seid euch bewusst, wie viele wir sind.

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