Das Märchen von den zwölf Monaten

Es war einmal eine alte Frau, die war bitter arm. Draußen war es neblig grau, ein kalter Wind pfiff durch die Lande. November. Um ihre karge Stube ein wenig wärmen zu können, ging sie in den Wald, etwas Reisig zu holen. Wie sie die ersten Zweiglein bündelte, kamen plötzlich zwölf Männer zu ihr, ein jeder von anderem Alter und Charakter. Sie grüßten die Frau und meinten, dass es heute schon ein besonders unangenehmer Tag sei.

„Ach was,“ meinte die alte Frau, „so schlimm ist es doch nicht. Es ist halt November.“ Ob sie den November, den Windmond denn nicht fürchte, fragten die zwölf Männer. „Warum sollte ich?“ entgegnete die alte Frau, „Der November mahnt einen doch zum Innehalten, ruft einen zur Ruhe.“ Dann sei ihr das Grau, der Sturm und die Kälte wohl lieber als Licht, Wärme und Grün, fragten die Männer.

„Nein, nein, mir ist alles recht und willkommen,“ meinte die alte Frau. „wie es eben kommt, ich bin’s zufrieden. Das frische Grün, die laue Wärme, brennden Hitze, goldene Blätter, glitzernder Schnee.“ Und wandte sich eifrig dem Reisigsammeln zu. Die zwölf Männer halfen ihr, und eh sich die alte Frau versah, war sie mit einem großen Bündel Reisig wieder zuhause. Wie aber staunte sie, als sie das Bündel aufschnürte: Alle Blätter an den Zweigen, alle Nadeln an den Ästchen hatten sich in Gold verwandelt. Von da an lebte die alte Frau glücklich und zufrieden.

Ihre Nachbarin aber war voll des Eifers und des Neides, ließ keine Ruhe, bis sie erfuhr, woher der plötzliche Segen denn käme. Sie solle nur in den Wald an eine bestimmte Stelle gehen, Reisig holen. Dort würde sie zwölf Männer treffen, alles andere würde sich dann schon ergeben.

Die Nachbarin ging gleich in den Wald an besagten Ort, klaubte lustlos ein paar Stöckchen auf und wurde schon ganz ungeduldig. Da traten die zwölf Männer auf sie zu und fragten, wie es ihr erginge. „Ach, was ist das heute grau, nebelig, windig, scheußlich!“ klagte die Nachbarin. „Da jagt man doch keinen Hund vor die Türe!“ Ob ihr denn andere Zeiten besser gefielen, begehrten die zwölf Männer zu wissen. „Im Dezember ist es dunkel , im Januar beißend kalt, im Februar gibt es zu viel Schnee, der März hat noch Reif hinter den Ohren, der April weiß nie was er will, der Mai bringt einen vor lauter Blüten um den Verstand, im Juni nehmen die Tage kein Ende, der Juli ist brütend heiß, vom August ganz zu schweigen, im September hagelt es Äpfel von den Bäumen, und erst der Oktober, da schmerzt der Rücken vom lauter Bücken nach der Ernte.“ Die zwölf Männer schwiegen.

„Wollt ihr mir denn nicht mein Reisigbündel schnüren?“ fragte die Nachbarin. „Immerhin habe ich euch Auskunft gegeben.“ Sie sammelten Zweige, banden sie zusammen und hoben der Nachbarin eine schwere Last auf den Buckel. Die wankte, ächzend unter der Bürde, nach Hause und meinte, der Weg dauerte zwölfmal so lange.

Da endlich ließ sie das Reisigbündel fallen und löste das Band. Doch was sah sie? Nur dürre Zweige mit fauligen Blättern, schimmlige Nadeln an kranken Zweigen. Das war der Lohn der zwölf Männer, sie hatten der alten Frau wie der unzufriedenen Nachbarin das gegebn, was ihnen zustand. Denn die zwölf Männer waren – die zwölf Monate.

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