Lob der Tanne
Der schöne Wald, der grüne Wald
Lässt wachsen Bäume mannigfalt:
Gewaltig, sondergleichen
Stolzieren unsre Eichen;
Doch ihre Frucht ist herb und klein –
Drum sag’ ich nein und aber nein
Ich lobe mir was andres.
Die Ulme hebt sich hoch und kühn,
Die Buche treibt ein saftig Grün,
Ehrwürd’ge Bärte hangen
Am Birkenbaum wie Schlangen,
Doch ihre Frucht ist winzig klein –
Drum sag’ ich nein und aber nein!
Ich lobe mir was andres.
Wie Honigsüß ist Lindenduft
Beim leisen Hauch der Sommerluft;
Auch tut mich oft ergötzen
Des Eschenlaubes Schwätzen.
Allein, allein – was nützt mir das?
Ich wünsche mir auch sonst noch was,
Ich lobe mir was andres.
Der Ahorn mit dem Fingerblatt,
Die Weide mit den Kätzchen glatt,
Wie Silber anzuschauen,
Die Erle auch, die grauen,
Und alle Bäume her und hin
Sind schön – doch nicht nach meinem Sinn –
Ich lobe mir was andres.
Im ganzen, weiten Waldesraum
Die Krone ist der Tannenbaum,
Wächst auf wie schlanke Kerzen,
Ist grün im Mai und Märzen,
Sein Schatten dunkel, licht und kühl;
Und treibt der Wind sein kosend Spiel,
Webt’s heimlich durch den Wipfel.
Und einmal jährlich zieht er aus,
Vom Walde her in unser Haus:
Dann naht sich sacht und leise,
Gar wundersamerweise,
Das wonnige Christkindelein
Und segnet alle Zweigelein –
Heida, das wird ein Leben!
Da wächst und winkt uns Frucht an Frucht,
Von allen Fluren aufgesucht,
Von allen, allen Arten,
Der Baum erblüht zum Garten!
Was Aug’ und Herz ergötzen kann,
Das ist in vollster Hülle dran,
Vom Fuße bis zum Gipfel.
Zu übersehn die Herrlichkeit
Sind hundert Lichtlein gleich bereit,
Die alles übermalen
Mit goldnen Sonnenstrahlen.
Das Aug’ verträgt den Schimmer kaum –
O, sei gepriesen, edler Baum,
Und der dich so gesegnet!
Friedrich Wilhelm Grimme (1827-1887)