Wie der Majoran vegan wurde

Wer weiß, wann’s war, als ein kleines Kraut in einem bunten Garten, mitten im Kräuterbeet  zwischen Minze, Melisse, Salbei, Rosmarin, Thymian und Lavendel vergnügt wuchs und gedieh. Es war der Majoran, der auf den schönen botanischen Namen Origanum majorana hörte und wie Minze, Melisse, Salbei, Rosmarin, Thymian und Lavendel zu den Lippenblütengewächsen zählte. Er fühlte sich so recht wohl unter seinesgleichen aus der Familie, die an diesem sonnigen Plätzchen ihr Auskommen gefunden hatten. Untereinander plauderten die vielen Kräuter über dies und über jenes. Was man natürlich nicht hörte, sondern nur schnupperte – denn Kräuter unterhalten sich nicht mit Worten, sondern mittels Duft. Wie er sich freue, dass bald das große Blühen begänne, dünstete der Lavendel herb-süß. Wie man sich die lästigen Läuse vom Blatt hielte, verströmte die Minze pfeffrig. Dass es die Sonnenglut wie beim Schwitzen mindere, wogte der Majoran krautig. Das Duftgeraune war umso lauter, je höher die Sonne stieg.

Jeden Tag kam der Gärtner vorbei, zupfte hier ein welkes Blättchen weg, ordnete dort ein paar Stängel, rechte den Boden und gab den Kräutern, wenn es lange nicht geregnet hatte, auch schon mal ein Schlückchen aus der Gießkanne. Er schnupperte immer wieder an den Kräutern, rieb sich dazu ein Blättchen unter der Nase. Noch zu grasig, meinte er beim Lavendel. Noch zu schwach, meinte er zur Minze. Noch zu grün, war sein Urteil beim Majoran.

So weit, so gut. Nachdem der Majoran sich wie die anderen Kräuter kräftig entwickelt hatte, seine vielen Stängel unten schon ein wenig holzig wurden und seine eiförmigen, graugrünen Blättchen voller Saft und Kraft steckten, begann er oben viele Blüten anzusetzen. Die fielen alle sehr, sehr winzig aus, wären so niemandem aufgefallen. Also packte der Majoran sie mit graugrünen Hochblättern zu kleinen Kugel-Blütenständen zusammen. Die waren gerade kurz vor dem Aufblühen, als ritsch-ratsch die Schere des Gärtners alle seine Triebe bis fast zum Boden hin abschnitt. Der Majoran schrie, was das Zeug hielt. Weithin konnte man seine Duftrufe vernehmen.

Übermorgen geht die Geschichte weiter.

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