Pappelgeplapper

PopulusEs waren einmal zwei Bäume, die mochten sich sehr. Der eine wuchs im Auwald neben Ulme, Esche und Ahorn nahe dem Bach, machte mit seinem dicken, tief gefurchten Stamm und dem grob gebuchteten, unterseits weiß behaarten Laub mächtig einen auf starken Kerl. Der andere Baum war eher zittrig-flittrig von Gestalt, hüllte sich eine gelbliche Rinde und trug seine hübsch runden Blättchen voller Anmut, auch scheute er nassen Boden und stand deshalb an einer trockenen Anhöhe neben Birken, Salweiden und Ginster. Von klein auf hatte sich eine Liebe zwischen ihnen entsponnen, die aber, aus fest verwurzelten Gründen, unvollendet blieb. Mit ihren Blätter plapperten und pappelten sie sich ihre Zuneigung zu, mal flüsterleise knisternd (wenn der Wind fast eingeschlafen war), mal lautstark trommelnd (wenn der Sturm durch ihre Äste fuhr). Papp, Papp, Papplapapp, Pappelapappelapapp. Papappellapappelapp. Pappellapappalapapp. Doch so sehr sie sich auch eine innige Verbindung wünschten, blieb ihnen eine solche lange verwehrt. Hatten sie ihre Äste gedehnt, gereckt und gestreckt, um sich mit Zweigfingern zärtlich zu liebkosen, brach der Wind einen Ast ab – und aus war’s mit dem Zusammenwachsen. Pappelapapp.
Nachdem beide Bäume schon recht groß geworden waren, konnten sie es vor Sehnsucht kaum noch aushalten. Als die Tage nach dem langen Winter wieder länger wurden und die Sonne allmählich die Stämme wärmte, trieb der Kräftige puschelige Gebilde wie niedliche Katzenschwänzchen, die schnell länger und länger wurden und dann goldenen Staub ausstreuten. Der andere, zierliche tat es ihm puschelig nach, nur staubte es nicht. Vielmehr hielt er den Staub des anderen in den Puscheln mit klebrigen Vorrichtungen fest, wenn davon eine Wolke mit einem Windstoß herüber wehte. Ach, wie wohl getan! Endlich waren die beiden Bäume vereint. Pappelappapelapapp!
Wie das so ist, wenn zwei sich nahe kommen und es vor lauter Liebe nur noch staubt, dann hat so was Folgen. Tatsächlich ging der zweite Baum bald schwanger mit unzähligen Samen. Jeder davon trug ein Büschel aus schimmernder, seidiger Wolle. Doch statt die Nachkömmlinge zu herzen und zu nähren, auf dass sie rund und drall wie eine Kirsche, saftig und süß wie ein Apfel oder wenigstens holzig und gehaltvoll wie eine Walnuss würden, öffnete der Baum bald die Kinderstubenkapseln, um die Brut ihrem Schicksal zu überlassen. Flugs wehte der Wind die vielen Samen an ihren Schöpfen davon. Pappelapapp.
Zwischen den Brennnesseln hingen sie, die wolligen Bäusche. Am Fuß der Weiden und Haseln verfingen sich in wattigen Haufen. Und hinter der Erle hatten ein paar sich mit Gras verflochten. Der Wind wirbelte sie wieder und wieder auf, spielte mit ihnen und blies ihnen den Marsch. Pappelapappelapappelalapp, ihre Erzeuger plapperten sich schon wieder Amouren zu. Und bemerkten blind vor Liebe gar nicht, dass zu ihren Füßen, genau zwischen ihnen, ein winziger Same mit seinem Haarkranz auf fruchtbaren Boden gefallen war. Pappelpappelpappelpapp, pappelapapplapapplapapp.
Noch bevor der Herbst kam und die beiden Bäume wie so viele andere auch all ihre Blätter verloren, hatte das Samenkorn ein Würzelchen getrieben und sich in der Erde verankert. Schon bald war ein winziges Stämmchen zu erkennen, freilich nur spindeldürr und nicht mal spannenlang. Aber bereits mit zwei, drei Zweiglein, jedes mit Blättchen. Pappelapapp.
Den Winter verharrte der Kleine dick eingepackt zwischen dem trockenen Laub, das ihn wärmte und schützte. Als der Frühling kam, und neben ihm ein Weidenspross sich anschickte, ihn zu überflügeln, strengte er sich gewaltig an und wuchs so schnell er nur konnte. Kräftig Wasser saugen und mit dem Nass auch viele Nährstoffe hochpumpen, hieß seine Devise, damit er den Weidenschössling übertrumpfen konnte. Das Laub in seiner hoch aufragenden Krone wackelte und pappelte, ganz wie bei den beiden Alten. Atemporen in den Blättern weit öffnen, damit der Wind die feuchte Luft aus den Blättern fortblies. Schnell wieder Wasser aufgesaugt und in die Höhe gepumpt, fest getrunken und reichlich gefuttert, damit was werde aus dem schmächtigen Kerlchen. Nach wenigen Jahren war der Sämling zwischen den beiden Bäumen zu einem stattlichen Jüngling herangewachsen. Und rattelte und schnattelte, weil seine derben, am Rand knorpeligen Blätter an abgeflachten Stielen an den Zweigen hingen und selbst beim leisesten Windhauch gegeneinander schlugen wie Trommelstöcke auf Trommelfell. Pappelapappelapappelapapp!
Jedes Jahr ein Meter höher und zwei Zentimeter dicker, bald überragte der Baum seine inzwischen greisen Eltern. Pappelpappelpappelpappel, nie war es still in den Kronen. Aber eines Tages übertönte ein kreischendes Getöse alles Papperlapapp. Ketten fraßen sich die Stämme, Hiebe brachten sie zum Beben, Keile ließen sie stürzen. Da lagen sie, die beiden alten und der junge, kreuz und quer übereinander. Und waren still. Kein Geplapper, kein Gepappel. Ihre Stämme aus leichtem, weichem Holz wurden in Stücke zerteilt, das Geäst der Kronen gehäckselt und weggefahren. Es kam in eine große Fabrik, und endete schließlich in dünnen Blättern Papier – worauf auch diese Geschichte geschrieben und zu lesen steht. Pappelapapp.
Das war’s mit den Pappeln? Nein, die Geschichte braucht doch ein happy end: Einige Zweige waren dem Häcksler entgangen. Die schlugen auf dem nahrhaften Boden rasch wieder Wurzeln und richteten sich auf. Streckten ihre Blätter dem Wind entgegen und wuchsen, was das Zeug hielt. Und plapperten und pappelten. Pappelapapplapapplappapp. Pappelapapp!
Wer’s noch nicht bemerkt hat: Gemeint sind hier Silberpappel (Populus alba), Zitterpappel (Populus tremula) und die natürlich als Kreuzung aus diesen beiden hervorgegangene Graupappel (Populus x canescens). Pappeln gelten übrigens als besonders gute CO2-Senker, weil sie so rasch wachsen. Mit ihrer starken Behaarung auf Zweigen und Blättern binden sie immense Mengen an Feinstaub, so wird vermutet. Und aus der Samenwolle lassen sich hochwertige Bettdecken herstellen, Pappelwolle gilt als eine der edelsten Naturfasern.

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