Lärchenwinter, Teil 4

Winter war’s im Wald, Weihnacht gekommen. Die längste Nacht vorbei, die heilige angebrochen. Der Wind hatte sich gelegt, vom Frost war nur ein Hauch geblieben. Die Luft war rein und trocken. Schnee deckte ein weiches Tuch über den Waldboden. Am nachtschwarzen Himmel glitzerten die Plejaden. Der Wald stand stumm und schwieg. Der Lärche wurde es schwer und schwerer ums Holzherz, kalt und kälter um ihre Äste. Vernehmlich stöhnte sie auf.

Da fiel ein glänzender Mondstrahl auf einen der langen Zweige der Lärche. Der fing an, sachte zu wippen. Die feinen Eiszäpfchen daran klirrten leise. Ein paar Schneekristalle stäubten auf. Erst war es nur der eine Zweig, dann schwankte der nächste, schaukelte noch einer, bis auch der kleinste Zweig ganz oben unterm Wipfel anfing zu federn. Es knisterte und knackste in den Ästen, es knarzte bis hinter die Rinde. Die Lärche wusste gar nicht, wie ihr geschah. Klebriges Harz breitete sich in ihr vom Geäst bis hinunter zu den Wurzeln aus, ein warmes Gefühl flutete durch all ihre Fasern.

Was war geschehen? Das Wunder dieser einen, dieser besonderen Nacht. Oder war es den saligen Fräulein, den Baumfeen zu danken, dass sie die Lärche aus ihrer Teilnahmslosigkeit geweckt hatten? Jedenfalls begann die Lärche balsamisch zu duften, wohlklingend zu wispern, geheimnisvoll zu leuchten. Und sie wusste jetzt, wie sie den anderen Bäumen ihre Angst vor dem Winter nehmen konnte. Sie erzählte ihnen vom Frühling, wo sie aus kahlen Zweigen büschelweise weiche Nadeln treiben und sich ein hellgrünes Spitzenkleid überstreifen würde. Hübsche rote Zapfen nach oben strecken und kleine gelbe, stäubende Zäpfchen nach unten hängen lassen wollte. „Es wird schon heller!“, rief die Lärche den anderen Bäumen zu. „Seht ihr nicht den Morgenstern, wie am Horizont den Tag begrüßt?“

Da lief ein frohes Raunen durch den Wald. Selbst bei der Eibe raschelte ein Zweiglein. So hat die dunkle Jahreszeit doch auch ihre hellen Seiten. Niemals kann man sich mehr auf den Frühling, auf das wiederkehrende Licht freuen als jetzt. Die Lärche, Baum des Jahres 2012, spiegelt den Rhythmus der Natur in ihrem Erscheinungsbild wider. Zartgrün der Austrieb, sattgrün die Sommernadeln, golden das Herbstkleid und grau kahle Zweige im Winter. Ungestüme Jugend und gesetztes Alter findet man an ihr vereint, in ihren lustigen Zapfen und der grobfurchigen Borke. Nach altem Glauben haben in der Lärche Waldwesen, die den Menschen freundlich gesonnen sind, ihren Wohnsitz – die saligen Fräulein oder Frauen. Die Lärche ist’s, die Lichtverkünderin… (frei nach Shakespeares Romeo). Eine hoffnungsfrohe Zeit durch den Winter!

Schreiben Sie einen Kommentar

Item added to cart.
0 items - 0,00