Weniger ist mehr, heißt es bei der Verwendung von Waldmeister (Galium odoratum). Das hängt insbesondere mit dem Gehalt an Melitosid zusammen. Melitosid ist die biologische Vorstufe von Cumarin, das nur in frischen Pflanzenteilen zu finden ist. Beim Welkeprozess entwickelt sich mit Hilfe von Enzymen daraus Cumarin, das für den typischen Duft von Waldmeister verantwortlich ist (wie auch im Heu und in anderen Pflanzen, z.B. Ruchgras, Steinklee, Kamille, Zimt, Tonkabohne). Wie wohl sonst hätte sich der Waldmeister seine Namen Wohlriechendes oder Duft-Labkraut bzw. Galium odoratum (nach lat. oder = Duft).
Duft nach Heu und Vanille

Cumarin, benannt nach dem in den tropischen Regenwäldern Südamerikas heimischen Tonkabohnenbaum (Coumarouna odorata), wirkt in geringer Dosierung (maximale Tagesdosis 3 g) gemäß Erfahrungsheilkunde entkrampfend, beruhigend, entzündungshemmend, lymphabflussfördernd und durchblutungssteigernd, kann in stärkerer Konzentration Kopfschmerzen, Übelkeit und Benommenheit verursachen – bei extremer Überdosierung auch Herzprobleme, Leberschäden, Benommenheit bis zum Atemstillstand. Für einen angenehmen Genuss liegt es mehr als nahe, dass Waldmeister deshalb vorsichtig und sparsam eingesetzt wird.
Mal mehr, mal weniger

Der Gehalt an Cumarin variiert, je nach Jahreszeit und Entwicklungsstand, je nach Standort und Jahr. Gemeinhin steigt der Cumarinspiegel mit zunehmender Reife an, erreicht mit und kurz nach der Blüte seinen Höhepunkt. Darauf beruhen Anwendungsregeln, dass Waldmeister nur VOR der Blüte zu verwenden sei (bisweilen gibt es sogar Warnungen, dass Waldmeister ab der Blüte oder wenigstens danach giftig würde).
Korrekt sind diese Aussagen nicht, denn es hängt ja stets von der Menge Waldmeister ab, die in Getränke und Speisen kommt, die man zu sich nimmt. Welche Konzentration an Cumarin im Waldmeister ist, lässt sich im Alltag ohnehin nur grob abschätzen. Oft bemerkt man bei jungem Waldmeister gar keinen Geruch, bei blühendem dagegen sehr feinen, manchmal mag Waldmeister irgendwie gar nicht duften, dann wieder verströmt ihm ein intensives Aroma. Was tun? Ausprobieren und nach Bauchgefühl verwenden, besser sparsam als im Übermaß, denn: weniger ist mehr!
Bitter und herb

Zusätzlich zu Cumarin findet man im Waldmeister sekundäre Inhaltsstoffe wie Bitterstoffe (Iridoid-Glykoside) und Gerbstoffe. Auch hier kommt es auf die Menge an, ob sie gefällig oder störend wirken. Wiederum gilt, nicht zu viel Waldmeister etwa im Bowlenansatz ausziehen zu lassen, damit der Geschmack nicht leidet.
Aber warum Waldmeister immer nur als kleines Sträußchen kopfüber in die Flüssigkeit gehängt werden darf, ohne dass die Stiele hineinragen, bleibt mir unerklärlich. Überall liest und hört man von dieser Vorschrift, nirgends finde ich sie erläutert. Vergessen kann man sicher, dass Waldmeister in seinen Stielen einen Milchsaft enthalte, der bitter sei – so ein Quatsch!
Fragwürdig finde ich die Aussage, dass allein in den Stängeln Bitterstoffe seien, welche durch die Bruch- oder Schnittstellen austreten und in den Ansatz gelangen. Bitterstoffe sind wie Gerbstoffe Mittel der Pflanzen, um Fraßfeinde abzuhalten und finden sich in allen Pflanzenteilen, vorzugsweise in Blättern (weil die besonders gerne gefressen werden). Tatsächlich merkt man zartbittere Herbe, wenn man Waldmeisterblätter kaut.
Warum sollten diese wasserlöslichen Stoffe nicht über die Blätter in die Flüssigkeit übergehen, wenn man Waldmeister einlegt, ob komplett oder ohne Stielenden? Meine Experimente haben ergeben, dass es völlig unerheblich bleibt, wie man verfährt. Ausschlaggebend für das Ergebnis ist allerdings die Dauer der Ziehzeit – je länger der Waldmeister in der Flüssigkeit bleibt, desto bitterer und herber wird das Ergebnis.
Wer weiß mehr?

Gerne höre ich über Erfahrungen und Hinweise, wie sich das mit dem Waldmeister verhält! Wir möchten alle dazulernen. Unrichtigkeiten und Halbwahrheiten gehören dagegen ausgemerzt. Es wird ja nichts korrekter, nur weil es immer öfter nachgeplappert wird.