Draußen am Waldrand stand er, der Hollerbusch. Zwischen Schwarzdorn und Weißdorn, beschirmt von einer alten Esche. Und besonders schön war er auch nicht. Nur noch unordentliches Geäst, nicht einmal ein paar ausgeblichene, welke Blätter hingen an seinen von Pocken übersäten Zweigen. Dabei hatte er sich zu Sommerbeginn in ein herrlich duftendes Kleid aus weißen Blütensternen gehüllt, sich zum Herbst hin mit schwarzen Fruchtperlen geschmückt. Dahin war all die Pracht.
Nach all den frohgemuten, lichterfüllten Zeiten, als Rosenkäfer um ihn brummten und Schwebfliegen um ihn sirrten, als Vögel auf seinen Ästen wippten und sich die Beeren in den Schnabel schnippten, war es jetzt still und dunkel geworden. Die Nebel waberten durchs Land, der Frost griff mit eisigen Fingern nach den letzten Hagebutten und machte sie mürbe. Ein paar Rabenkrähen krächzten heiser von der Esche über ihm. „Düster wird’s!“, raunte der Schwarzdorn zu seiner Linken. Dem Holunder lief ein Schaudern über seine graue Rinde.
Kathrein hatte allen Tanz und Gesang eingestellt, die Haselnüsse waren im Andreasbrot verschwunden, das Luzienholz trieb trotz aller Bitten keine Blüten, die Thomaswurzel blieb in der Finsternis der Erde verborgen. Ein eisiger Wintersturm fegte durch Wald und Flur, der Nachthimmel leuchtete geisterhaft auf. Dem Holler kam das kalte Grausen. Nur allzu gern hätte er sich jetzt von Giersch und Brennnesseln, die sonst zu seinen Füßen wucherten, umschlingen lassen. Aber die hatten sich in die Tiefe zurückgezogen. Auch von der alten Esche fühlte er sich nicht wirklich behütet, kahl wie sie dastand. Und die Dornen der beiden Nachbarsträucher kratzten an seiner dünnen Borke. Was soll nur werden?
Die Zeit der Rauhnächte war gekommen. Der Holunder hatte die Bäume belauscht, als sie von dieser dunklen Zeit des Jahres zwischen den Lichttagen Luzia und Lichtmess sprachen. „Da tobt die Wilde Jagd durch die Lüfte. Die furchterregende Schar der armen Seelen, die vor ihrer Zeit gestorben waren, angeführt von der Percht.“, wusste die knorrige Eiche. Die Fichte fuhr fort: „Wer es wagt, die Wilde Jagd zu verhöhnen, den reißt sie unter Johlen und Jammern, Ächzen und Stöhnen mit fort. Das grausame Geisterheer verheißt nichts als Krankheit, Jammer und Elend.“ Dem Holler wurde angst und bang. Seine Zweige knickten schier, sein Inneres wurde schwammig. Die Menschen hingen keine Wäsche nach draußen, denn darin hätte sich sonst nur allzu leicht die Wilde Jagd verfangen können. Gut, dass keine Blätter mehr an seinen Ästen hingen.
Da flüsterte der Weißdorn auf seiner rechten Seite: „Die Percht ist aber nicht nur die Mutter der Nacht. In der Mütternacht, der längsten Nacht des Jahres, kommt sie und bringt wieder Licht!“. Der Holunder zweifelte. Die Birke mit ihrem hellen Stamm aber gab dem Weißdorn recht, auch der Efeu bestätigte, dass die Tage wieder heller würden, so wahr wie seine Blätter immergrün blieben. Und tatsächlich kroch ein Hollekäfer, rot mit sieben schwarzen Punkten, aus dem Gestrüpp hervor. Als warte er auf eine Erscheinung.
Als hätte sich ein Vorhang zwischen den Welten gehoben, fiel plötzlich Licht durch die Finsternis. Zwar nur ein Hauch, aber er erhellte den Hollerbusch. Die Bäume und Sträucher rundherum flüsterten ehrfürchtig: „Die Percht!“. Dem Holunder wuchsen vor lauter Aufregung Ohren an seinen runzeligen Ästen. „Nur die Ruhe. Die Percht ist Wächterin über Leben und Tod, schön und schiech zugleich – so wie du. Wusstest du nicht, dass die Percht mit einem Bündel deiner Zweige die Wurzeln und Samen weckt und sie erinnert, dass sich das Jahr wieder der Sonne zuwendet?“, meinte der weise Haselstrauch. „Wie ich als Mittler zwischen den Welten stehe, bist du der Hüter der Schwelle zwischen Jenseits und Diesseits, zwischen Dunkelheit und Helligkeit. Denk doch nur an deine Blüten und Früchte!“ Die Ohren vom Holunder begannen rot zu glühen. Das fahle Winterlicht brachte sie zum Leuchten.
Wie hatte er sich nur so fürchten können. Verhießen doch auch Kiefer Licht und Immergrün Hoffnung. Er hatte die Regeln für ein gutes Leben nicht gebrochen, im Gegenteil. Seine Blüten hatte er ebenso wie seine Früchte gespendet, für Gesundheit, Heil und Wohlergehen. Frau Percht würde das sicherlich hochschätzen. Der Wind säuselte durch den Waldrand. Und dem Holler war, als hörte er eine liebliche Melodie. Voller Dankbarkeit fürs Vergangene und Zuversicht fürs Kommende streckte er seine Zweige weit aus. Sie waren geschmückt von Moospolstern und Flechtenbärten, wie bei einem Weihnachtsbaum.
Und da rieselten doch wirklich Schneeflocken vom Himmel…
ich liiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiebe Ihre Pflanzenmärchen 🙂
Fein, das freut mich!