Des Goldes Schein

Dereinst, vor nicht zu ferner Zeit – „Indien“ war gerade vor einem Jahrhundert entdeckt – reiste ein abenteuerlustiger Pflanzenfreund (oder war er ein Pflanzenjäger?) über das große Meer gen Westen. Hatte er doch von den ungeheuren Reichtümern gehört, die in den fremden Ländern auf Entdeckung warteten. Nach langer Seefahrt erkundete er die Flora und staunte ob der exotischen Fülle an Pflanzen, die er niemals vorher gesehen. Es glühte vor kleinen und großen Sonnen, als wäre das große Himmelsgestirn zersprungen und hätte sich vieltausendmal auf dem fruchtbaren Boden vervielfältigt.

Sonnenblumen, Sonnenaugen, Sonnenhüte, Sonnenbräute

Golden leuchteten ihm nicht allein Sonnenblumen und Sonnenaugen, Sonnenhüte und Sonnenbräute entgegen. Ganz andere Gewächse sprangen ihm ins Auge und weckten seine Begierde. Aus der Ferne schien sich ein goldenes Meer sanft im Wind zu wiegen. Von der Nähe betrachtet waren es Myriaden von goldenen Blütchen an langen Ruten – zahllos wie die Tropfen in der See, über die er aus seiner Heimat hierher in die neue Welt gekommen war.  Der Pflanzenfreund war überzeugt, dass es sich dabei um die sagenhaften Schätze handeln musste, von denen man stets munkelte. Gold, in Hülle und Fülle. Hinter jedem Baum ein neues Feld voller Gold.

Bald schon würde der Segler zurück in die Heimat aufbrechen, also schnell den Goldschatz gejagt und gehoben. Der Pflanzenfreund brach die Ruten, stopfte sie in Tröge und Truhen, er zog sie samt Wurzeln heraus und steckte sie in Töpfe, er rupfte die Blüten und ließ sie in Tüten rieseln. Alles gut verschnürt in den Schiffsbauch verpackt. Heim, voller Vorfreude auf die staunenden Gesichter der Daheimgebliebenen. Schon sonnte sich unser Freund im Glanz des Goldes.

In qualvoll langen Monaten auf See überlegte und sinnierte er, wie er die goldene Verheißung am besten verwenden sollte. Dabei war um die goldene Pracht zu fürchten, nagten Ratten an den Ruten, setzte salzige Seeluft den Kostbarkeiten zu, fehlte Süßwasser zum Tränken der Kleinode. Als das Schiff im heimatlichen Hafen einlief, kam ihm die zündende Idee. Ich will es säen, wachsen und sich vermehren lassen, dachte sich unser Pflanzenfreund. So würde sich der Reichtum unendlich vervielfältigen. Zum Wohle seiner Mitmenschen, zu seinem eigenen Auskommen. Voll der guten Vorsätze hieß er die goldene Ladung zu löschen. Neidische Blicke, sie wurden immer mehr und immer durchdringender, folgten den Trögen, Truhen, Töpfen und Tüten. Ein Fieber griff um sich: Gold!

Der Pflanzenfreund brachte seine Schätze wohl unter, wo die Ruten sich tatsächlich bald vermehrten und golden aufleuchteten. Majestäten, Herzöge und Fürsten, Königinnen, Prinzessinnen und hochwohlgeborene Damen, Würdenträger und Wichtigtuer flanierten entlang der üppigen Paradereihen aus goldenen Ruten und schwelgten im Reichtum. Ein jeder wollte von diesen Schätzen wenigstens einen kleinen Teil sein eigen nennen. Also trachteten die Blaublütigen und Möchtegerns danach, zumindest etwas von dem pflanzlichen Gold in ihre Gartenschatzkammern zu bekommen. Der Pflanzenfreund sonnte sich in unter den goldenen Ruten, sein Abenteuer hatte ihm zu großem Wohlstand verholfen.

Scharenweise kam dann auch das Volk, die goldenen Wogen zu bewundern. Der Glanz des Goldes spiegelte sich in gierigen Augen, nicht golden, gelbgrün stieg der Neid in den Seelen empor. Das Fieber grassierte, wurde zusehend hitziger. Schwupps, war hier eine Rute geknickt und dort ein Blütchen gebrochen. Was Wunder, bald spross das Gold an vielen Stellen. Dem Pflanzenfreund rieselte sein Gold durch die lückigen Zäune. Den goldenen Ruten begegnete man in immer kürzeren Abständen an immer neuen Plätzen. Geblendet vom schnöden Mammon, getrieben von Gier hatte bald jeder eine davon, hatte sich sogar schwunghafter Handel mit ihnen entwickelt. Findige Gärtner boten vielerlei Formen an – denn nach dem Pflanzenfreund hatten es noch viele über den Ozean geholt. Virga aurea, die goldene Rute, verlor an Glanz – und der Pflanzenfreund an Ansehen und Vermögen. Gold?

Unser Freund war lange unter der Erde, wo er sich wohl ungezählte Male vor Gram über verlorene Goldschätze umdrehte, als die goldenen Ruten zu Abermillionen die alte Welt überschwemmten. Große Notzeiten hatten die Städte verwüstet, das Land durchfurcht, die Wälder leer geräumt. Da machten sich die Neuen wie mit Goldfingern breit, fingen an zu wuchern und verdrängten alteingesessene Goldstücke. Gold, echtes Gold wäre bitter nötig gewesen. Was es aber zuhauf gab, war nur Katzengold. Keiner zeigte sich mehr von goldenen Ruten beeindruckt, niemand hielt das Gold länger für wertvoll. Vom Fieber war nur noch ein laues Lüftchen übrig, zu kühl, als dass es die Gemüter noch erhitzte.

Denn wahrhaft viel wert ist nur, was rar ist. Die Menschen hatten sich wieder einmal als unersättlich erwiesen und dabei das Denken vergessen. Alsbald verachteten sie die goldenen Ruten gar, wollten sie ausgerottet wissen, hießen sie aufdringliche, alles verdrängende Eindringlinge. Eine neue Seuche griff um sich: Weg mit den Ruten! Aber dann wandten sich die Menschen anderen Dingen zu, die sie für absolut erstrebenswert und heilsbringend hielten. Diesmal – oder schon wieder einmal: Gold!

Keiner interessierte sich mehr für die goldenen Ruten, die der Pflanzenfreund einst, vor nicht zu ferner Zeit über das große Meer gebracht hatte. Der Goldruten schöner Schein war verblasst. Tatsächlich? Nein, es gibt Pflanzenfreunde, die bis heute die Goldschätze heben. Kanadische Goldruten und Riesengoldruten zeigen ihre Werte anders. Als Heilpflanzen und als essbare Wildpflanzen. Also doch Gold! Ich gehöre zu den Pflanzenfreunden, die das spätsommerherbstliche Gold der Virga aureas, der Solidagos, der Goldschwingen, Goldähren, Goldsternle durchaus wohlwollend einheimsen. Die Ruten wogen in der schwächer werdenden Sonne, die Rispen voller Körbchenblüten duften, die Blüten schmecken: goldig! Ernten Sie den goldenen Reichtum der Natur, freuen Sie sich am goldenen Glanz – das ist wahre Pflanzenlust.

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