Wie die Pflanzen ins Zimmer kamen

Es ist die Geschichte einer besonderen Beziehung, wie der Garten auf die Fensterbank kam. Von medizinischen Nothelfern über exotische Statussymbole bis zu einem Stück Natur in grauer Betonwelt – einst kostbar und kaum bezahlbar, heute billige Massenware. Zimmerpflanzen sind aus dem unmittelbaren Umfeld der Menschen nicht mehr wegzudenken. Verfolgen wir in aller Kürze die spannenden Pfade, auf denen das Grün von draußen nach drinnen zog.

Von der Antike bis ins Mittelalter

Wohl seit der Mensch sesshaft wurde, holte er sich Pflanzen in sein Heim. Anfänglich waren es vor allem Nutzpflanzen, insbesondere Heilkräuter wie etwa die Aloe, die bis heute als Erste-Hilfe-Pflanze gegen Verbrennungen an vielen Küchenfenstern steht. In antiken Kulturen dienten in Töpfen gehaltene Pflanzen hauptsächlich religiösen und kultischen Zwecken. Dennoch kamen bald auch dekorative Reize zum Zuge. Vielleicht muss man die Brautmyrte als eine der ältesten Schmuckpflanzen ansehen. Das anmutige Gehölz stand sicher in vielen Villen des alten Griechenlands. Und wer weiß, ob nicht Nero sich in seinem Palast an Oleanderblüten und Basilikumduft berauschte.

Je größer die Siedlungen wurden, je dichter sich die Bauten drängten, umso mehr werden sich die Menschen danach gesehnt haben, ein wenig Grün ans, besser gleich ins Haus zu holen. Sicherlich nur während der Frühlings- und Sommermonate, und dann bevorzugt Gewächse der heimischen Flora. Stark duftende Blumen wie Maiglöckchen, Veilchen oder Nelken halfen, von den strengen Gerüchen der Städte abzulenken. Auch südländische Pflanzen wie Lorbeer und Zitronenbaum, Lilien und Iris zog man in Töpfen.

Das Grün der großen weiten Welt

Harun al-Raschid, der Kalif von Bagdad, schenkte um 800 n. Chr. Karl dem Großen bereits Pflanzen aus dem Orient. Mit den Kreuzrittern kamen immer mehr Pflanzen aus dem Mittelmeerraum, Klein- und Vorderasien nach Europa. Weil sie nicht winterhart waren, musste man sie in Gefäßen kultivieren. Eine der bis heute attraktivsten Pflanzen fürs Haus wurde die Hyazinthe. 1682 entdeckte der Engländer Nehemiah Grew, dass Hyazinthen im Winter zu blühen beginnen, wenn man sie zeitig ins Warme holt. Kaiser, Könige, Fürsten hatten bald ihre helle Freude daran, Hyazinthen im Zimmer zu treiben. Von Madame Pompadour wird berichtet, dass sie 1759 sage und schreibe 200 Stück in ihren Gemächern ziehen ließ. Um 1750 kamen auch Aurikel groß in Mode, die zahllosen Zuchtformen wurden auf Stellagen präsentiert, wie Haustiere verwöhnt und sogar mit Fleisch gefüttert.

Mit den großen Seefahrern rückte die Flora fremder Kontinente in Reichweite. Bizarre Sukkulenten und Geranien aus Afrika machten den Anfang. Pflanzen aus Amerika und Asien folgten. An Bord der Entdecker- und Handelsschiffe reiste gewöhnlich ein Botaniker mit, dessen Auftrag es war, möglichst viele nützliche wie modische Pflanzen von der Reise mitzubringen.

Mit Erfindung der Warmwasserheizung konnte man die fremdländischen Gewächse zudem viel besser über den Winter bringen. Zum Luxus jener Tage gehörte eine Orangerie, reich bestückt mit exotischen Pflanzen aus aller Herren Länder. Nachdem sich auch die Wohnbedingungen in den Häusern verbessert hatten, eiferte das wohlhabende Bürgertum dem Adel nach. Zimmerpflanzen wurden zu Statussymbolen, man stellte sie in den Häusern der gehobenen Gesellschaft in verschwenderischer Fülle auf.  Alexander von Humboldts Reisen nach Südamerika verdanken wir beispielsweise die Passionsblume, Baron Saint-Paul, Gouverneur der deutschen Kolonie Tanganjika in Ostafrika, das Usambaraveilchen.

Dschungel im trauten Heim

Ab 1850 gehört eine üppige Pflanzenpracht in den Häusern zum guten Ton. In einem Ratgeber für Hausfrauen wird empfohlen: „Verteilen Sie überall im Haus Blumen und Grünpflanzen. Sie verbessern das Wohnklima. Nichts verschönert das Haus so sehr wie dieser frische und abwechslungsreiche Schmuck.“ Weil nur ein Raum beheizt werden konnte, beschränkte sich die Auswahl auf robuste Arten wie Schusterpalme, Farne oder Efeu. In der Gründerzeit um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert umrankte Efeu Zimmerlauben und klomm an Paravents empor, hing von Ampeln herab und begrünte die Zimmerwände. Grünes und Blühendes fürs Heim war absolut en vogue. 1889 erregte ein Kaktus, das Greisenhaupt, auf der Pariser Weltausstellung mindestens so viel Aufmerksamkeit wie der Eiffelturm.

Trotzdem dauert es noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts, bis auch die Häuser des einfachen Volks von Zimmerpflanzen erobert wurden. Eine großzügigere Architektur mit größeren Fenstern und somit helleren Räumen sowie mehr Wohnkomfort im Winter öffnete die Türen für die moderne Zimmerpflanzengärtnerei. Um 1900 liegen in Deutschland Kakteen ganz oben auf der Beliebheitsskala, während in England die Orchideen diese Gunst zuteil wird.

Heute selbstverständlich

Kaum ein Haus, kaum eine Wohnung, kaum eine Fensterbank, wo heute nicht irgendwo eine Zimmerpflanze steht. Gewächse in allen Formen und Farben, in jeglicher Größe von Miniausgabe bis Baum, blühend oder schlicht grün, hängend oder kletternd – das Sortiment ist riesig. Neueste Trends gehen zum indoor landscaping, der Landschaftgestaltung im Wohnzimmer mit begrünten Wänden – eigentlich nichts Neues, denkt man an die Hängenden Garten der Semiramis, in grauer Vorzeit mal eines der sieben Weltwunder.

Wie auch immer, Zimmerpflanzen machen unser Wohnumfeld lebenswerter. Sie bringen ein Stück Natur in den Raum, sprechen unsere Sinne an und können, wenn auch in sehr begrenztem Umfang, sogar die Raumluft von Schadstoffen reinigen. Zimmerpflanzen sorgen immer für gute Laune, denn etwas Grünes braucht der Mensch.

Immer aber sollten wir bedenken, dass es Zimmerpflanzen Lebewesen sind – die Würde der Kreatur erfordert es, sie mit Respekt zu behandeln. Die heutige Wegwerfmentalität passt da gar nicht dazu. Wisst Ihr, dass so manche Zimmerpflanze einen ein Leben lang begleiten kann? Eine Porzellanblume (Hoya carnosa) etwa, oder eine Klivie (Clivia miniata), ein Bogenhanf (Sansevieria) oder eine Strahlenalaralie (Schefflera) und viele andere mehr.

Schreiben Sie einen Kommentar

Item added to cart.
0 items - 0,00