Taube Nesseln

Taub, das meint auch dumm oder ungeschickt, empfindungslos oder stumpfsinnig. Wer einst gehörlos war, musste unbelehrt bleiben und galt damit als geistig beschränkt, wenn nicht gar als deppert. Einfältig sind die Gewächse, von denen hier die Rede sein soll, aber überhaupt nicht. Im Gegenteil, wenn man sie mal genauer unter die Lupe nimmt, erweisen sie sich als überaus originell und voller Talente.

Weder hörgeschädigt noch minderbemittelt…

Taubnessel, Tumbe Nessel, Blindnessel, Falschnessel, Zahme Nessel, Todnessel – alle diese alten Volksnamen beschreiben die entscheidenden Eigenschaften der Gattung Lamium: Sie sehen Brennnesseln (Urtica) ähnlich, brennen aber nicht wie diese. Im Gegenteil, bei den meisten Arten fühlen sich die Blätter streichelweich wie Samt an. Es fehlt ihnen einfach an Brennhaaren.

…sondern gefühlvoll und schlau

Oft gesellen sich Taubnesseln, insbesondere Weiße Taubnesseln (Lamium album) zu den „echten“ Nesseln aus der Familie der Nesselgewächse (Urticaceae), mit denen sie als Lippenblütler nicht einmal näher verwandt sind. In trauter Zweisamkeit lassen sich die zahmen von den aggressiven Nesseln bei flüchtigem Hinsehen kaum unterscheiden. Aber auch ein Büschel Gefleckter Taubnesseln (Lamium maculatum) an einem Zaun oder Baumstamm entpuppt sich erst nach dem Be-Greifen als wenig wehrhaft. Und das selbst im blühendem Zustand, zumindest von oben gesehen, denn die kreuzgegenständigen Blätter verdecken die Blüten. Trotzdem langt kaum einer gleich hin, selbst hungrige Tiere meiden sie.
Also keineswegs Dummnessel oder Doofnettel, wie Taubnesseln auf Plattdeutsch genannt werden. Statt sich selbst zur Wehr zu setzen, was ganz klar mit Energieaufwand verbunden ist, täuschen diese Pflanzen ihre Gefährlichkeit nur vor, indem sie die Brennnesseln nachahmen. Täuschung durch Tarnung und Warnung durch Vorspiegeln falscher Tatsachen.

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