Heute ist Walpurgisnacht! Die Nacht, in der – wer’s glaubt – die Hexen auf dem Blocksberg ihr Unwesen treiben und aus zauberkräftigen Pflanzen nach alter Vorstellung eine Flugsalbe anrühren, mit deren Hilfe sie fliegen können. Wer sich zur Maiandacht einen Gundermannkranz auf den Kopf setzt, kann die Hexen als solche erkennen. Und schon braucht es weitere magische Gewächse, um sich im Liebesmonat Mai der Zuneigung der Angebeteten zu versichern oder allzu aufdringliche Liebhaber abzuwehren.
Lebendige Zauberbotanik
Der Glaube, dass in Pflanzen magische Kräfte wohnen, ist so alt wie die Menschheit. Immerhin ist man auf Gedeih und Verderb auf die grüne Macht angewiesen. Unser aller Leben hängt unmittelbar von den Pflanzen ab: Sie spenden Sauerstoff, Nahrung, Kleidung, Baustoff, Brennstoff und Heilmittel. Was Wunder, wenn man da nicht in ihnen geheimnisvolle Kräfte wähnt? In früheren Zeiten, als man sich viele Dinge noch nicht erklären konnte, in ständiger Furcht vor Dämonen und Unglück lebte, sah man in vielen Pflanzen mächtige Wesen, schrieb ihnen überirdische oder teuflische Kräfte zu. Die einen dienten einem zum Wohle, die anderen vermochten zu strafen – im schlimmsten Fall das Leben zu kosten (Giftpflanzen wie der Eisenhut!). Obwohl wir heute in einer aufgeklärten Zeit leben und die Wissenschaft fast alles erklären kann, erhalten doch letzte Geheimnisse der Pflanzenwelt und alte Traditionen so manchen Aberglauben und viele Bräuche lebendig.
Wünsche werden wahr
Die Wünschelrute, gemeinhin vom Haselstrauch, Symbol des Frühlings, dient auch heute noch dem Aufspüren von Wasseradern. Ob’s wirklich stimmt? Wirksam ist eine Wünschelrute nur, wenn sie zu einer bestimmten Zeit unter Hersagen bestimmter Beschwörungen geschnitten wird. „Frau Hasel“ ist eine freundlicher, dem Menschen wohlgesonnener Strauch, der das Leben schützt und Lebenskraft schenkt. Mit einer Haselgerte lässt sich der Teufel vertreiben, aber ebenso der Eingang zu verborgenen Welten entdecken.
Glück herbeisehnen
Bald kommt Pfingsten, ein Fest, zu dem man auch heute noch oft den Pfingstmaien steckt. Gleich danach Fronleichnam, zu dem die Prozession mit prachtvollen Blumenteppichen aufgeputzt werden. An Haus, Stall und Felder kommen frischgrüne Birkenzweige. All das, um bösen Zauber sprich Unglück wie Krankheiten oder Missernten abzuhalten. Aufgeputzt wie ein Pfingstochse, diese Redewendung bezieht sich auf den Brauch, einen stattlichen Ochsen mit Blumen und Bändern festlich aufzuputzen und der Kraft der Vegetation zu danken, bevor der Ochse feierlich geschlachtet wurde. Kränzchen aus dem Kranzlkraut, duftendem Thymian, sollten ebenfalls böse Geister abwehren. Die Kühe wurden dann durch solche Kränze, ebenso aus Gundermann oder Birkenzweigen, gemolken, damit die Milch nicht sauer wurde.
Sympathie und Liebe wecken
Der Mai ist auch der Liebesmonat. Also sucht man nach Pflanzen, die einem die Liebste herbeiholen, den Liebsten hold machen, die Treue festigen. Sag’s mit Blumen, ein Strauß Maiglöckchen spricht Bände. Die Maienblume, wer die bricht, bleibt Junggeselle länger nicht, heißt eine alte Weisheit. Wer kennt nicht das Gänseblümchen- oder Margeriten-Orakel „Er liebt mich, er liebt mich nicht“? Wer sich Liebstöckelblüten ins Mieder steckt, schon wird ein Mädchen unwiderstehlich. Frauen zieht Mann magisch an, wenn er sich eine Liebstöckelwurzel einsteckt.
Um sich einen Mann gefügig zu machen, muss Frau Salbeiblätter nach einem Ritual beschriften und verbrennen, die Asche dann dem Angebeteten ins Essen mischen. Um die Liebe ewig grün zu halten, trugen Braut und Bräutigam einen Rosmarinkranz. Nach der Hochzeit wurde ein Zweig davon in die Erde gesteckt. Schlug der Wurzeln, war die Ehe von Glück gesegnet. Eisenkraut half in der Ehe, dass beide zueinander fanden. Es wirkt stärkend und aphrodisierend, verhilft zu schönen Träumen und erfrischt den Geist. Wer es bei sich trägt, wird niemals müde.
Stärkung durch Kräuter
Nicht nur im Eisenkraut stecken Zauberkräfte, durch die man beim Gehen nicht müde wird und nie vom richtigen Weg abkommt. Auch ein Beifußblatt in den Schuh eines müden Wanderers gelegt, bringt neuen Schwung. Schon trifft man auf Wunderwurzeln und Allerweltsheil. Nicht wenige Gewächse können den Dämon Krankheit vertreiben. Holunder, der Strauch der tausend Wunder, ist bis heute solch ein Zauberstrauch. Wer ihn fällt, beschwört das Unglück über Haus und Hof. Wer sein Holz verbrennt, bekommt ein Jahr Zahnweh, die Hühner legen keine Eier mehr, die Pferde gehen zugrunde. Vor dem Holunder muss man den Hut ziehen, er gilt als die Apotheke des kleinen Mannes. Sinnbild der Lust und Symbol für Überlebenswillen kommt der Holunder heute in Hugo, Hollersekt und Holunderblütensirup zu neuen Ehren.
Gibt es wohl Pflanzen, die zu ewigem Glück verhelfen, die Allmacht verleihen oder unsterblich machen? Das macht man uns nicht erst heute weis. Alraune, Mistel, das mysteriöse Kraut Moly, leider haben sie nicht das gehalten, was man sich von ihnen versprach. Jiagulan, das Kraut der Unsterblichkeit: Ob in ihm die nachgesagten Zauberkräfte wohnen – wer hat schon jemanden getroffen, der das bestätigt? Verhexen und zaubern lässt sich mit Pflanzen allemal, aber Wunder? Die dauern bekanntlich etwas länger. Trotzdem haben diese Pflanzen es verdient, mit ihrer Hexengeschichte weiterhin für zauberhafte Geschichten zu sorgen.