Erlengeschichte

Alnus 1Warum der Erle das Holz blutet
Vor langer Zeit, als die Bäume noch an ihren Kleidern schneiderten, häkelte sich die Erle runde Zäpfchen, strickte sich schlanke Kätzchen, plissierte sich dunkelgrüne Blätter, wirkte sich eine schlicht schwarze Borke. Fertig geworden, besah sie sich ihr Gewand und war zufrieden.
Auch die anderen Bäume hatten sich Mantel, Umhang, Stola, Rock und Kleid gewirkt. Einer aufwändiger als der andere. Es war eine Pracht, die Vielfalt zu betrachten. Doch unter Bäumen, so nahe sie auch beieinander stehen, herrscht nicht immer Frieden und Eintracht. Der eine missgönnte dem anderen seine hübschen Blüten, der nächste war neidisch über den übernächsten wegen dessen Blattform, und wieder einer schielte begehrlich auf eines weiteren Stamm. Und wenn man sich selbst nicht grün ist, wenn man es allzu bunt treibt, wenn das Innere hartholzig und hartherzig wird, dann richtet sich die Bosheit gegen einen, der von all dem Eifern und Geifern gar nichts wissen will.
„Schaut euch bloß mal die Erle an!“, lästerte der Kirschbaum. „Sind das Blüten? Baumelnde Würstchen, aus denen es staubt, und hölzerne Eier, die auch noch platzen. Wie sollen denn da Bienen aufmerksam werden, wo sollen sie Nektar finden?“ Die anderen Bäume wackelten zustimmend mit ihren Ästen. Ja, der Kirschbaum trug schon ein außergewöhnliches Blütenkleid, das hätten sich die anderen auch gerne übergestreift. Aber was die Erle da an ihre Zweige geknüpft hatte, fanden alle umso weniger passend, je eifriger der Kirschbaum darüber lästerte.

Morgen geht es weiter…

 

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