Blau, blau, blau

Das Dreigestirn der Alpen: Enzian, Alpenrose und Edelweiß – blau, rot, weiß – Sinnbilder alpenländischer Tradition und Romantik, Symbole unberührter, idyllischer Bergwelt. Sie blühen selten zur gleichen Zeit, den Anfang macht der Enzian. Wobei hier der Stängellose Enzian (Gentiana clusii) gemeint ist, einer von mehreren hundert Arten der Gattung Enzian. Denn der trägt auch den Namen „Echter Alpen-Enzian“. Ein typischer Frühlingskünder auf Wiesen in und nahe der Alpen, stets auf kalkhaltigem Untergrund. Seine azurblauen Glockenblüten kann man nun wirklich nicht übersehen. Do konnst ned anderst, da muasst Bleamerl schaugn geh!

Und da sind sie, zu hunderten tupfen sie die grünen Matten so herrlich blau, als hätte sich der Himmel lauter kleine Stücke aus dem Himmelszelt geschnitten und zu Glocken genäht, mit goldenen Mustern versehen und auf die Erde gestreut. Da weißt gar nimmer, wo du hintreten darfst! Vor lauter Glück und mit Hilfe von Simones Entdeckerfreude sinnierst du, welche anrührenden Geschichten es zu diesem Schauspiel, zu dieser Blume wohl gibt?

Erstaunlich, es ist kein Märchen, kaum eine Legende zu finden – obwohl doch der Enzian so auffällig und liebenswert wie nur irgendwas daherkommt. Da ist dem Volk nichts eingefallen?

Frühlings-Enzian

Es gibt die Geschichte über den illyrischen König Genthios, der als Erster die Heilwirkung erkannt haben soll – aber damit können nur andere Enziane gemeint sein, etwa der Gelbe (Gentiana lutea) oder der Punktierte (Gentiana punctata), aus deren mächtigen, bitteren Wurzeln man auch den berühmten Schnaps brennt. Das passt überhaupt nicht zum Alpen-Enzian. Es gibt die Geschichte, dass man einen blauen Enzian nicht ins Haus bringen darf, weil er den Blitz anzieht – aber das betrifft vor allem den Frühlings-Enzian (Gentiana verna), auch als Schusternagerl bekannt. Der heißt auch Blitznägele oder Hausanbrenner. Es gibt die Legende von der Peterswurzel, nach der Jesus dem Petrus die Wurzel gegen Bauchweh angeraten hat. Petrus zog sie gemäß der Weisung aus dem Boden, biss davon ab und wurde gesund, steckte die restliche Wurzel aber wieder in den Boden. Deshalb sieht sie bis heute angebissen aus – aber das passt zum Kreuz-Enzian (Gentiana cruciata).

Einzig die Mär von den weißen Enzianen (unter tausenden blauen kommt immer mal auch ein Albino vor) kenne ich, unter denen jeweils ein Schatz verborgen liegen soll. Wobei es ja schon ein besonderer Schatz ist, wenn man eine weiße Glockenblüte findet! Aber Geschichten und Geschichtchen über den Alpen-Enzian, die blauen Glocken des Bergfrühlings?

Doch nach langem Suchen bin ich fündig geworden. Drei Kinder, so erzählt die Sage, stiegen nach langem, hartem Winter die Berge hinauf, um den blauen Himmel und die Blumen auf den Bergwiesen zu schauen. Oben angekommen, verhüllten dicke Regenwolken und Nebelschwaden ihnen den Anblick. Traurig liefen die Kinder wieder ins Tal. Unterwegs erschein ihnen ein blondgelockter, engelsgleicher Knabe, der sie ermunterte, nächsten Sonntag wieder auf den Berg zu kommen, dann würden sie die schönsten blauen Blumen unter einem herrlich blauen Himmel bewundern können. Die Kinder befolgten dies und fanden tatsächlich die Alp wie beschrieben: himmelblau das Firmament und dunkelblau die Blütenglocken. Sie ließen die Blumen aber stehen – denn solche himmlischen Gebilde gehören unbedingt unter die Weite des Himmels. In der Enge eines Zimmers würden sie nur allzu schnell vergehen, welch ein Frevel. Und so muss heute noch ein jeder zu den Wiesen wandern, die nahe unterm Himmelszelt liegen, um die Enziane zu bewundern…

1 Gedanke zu „Blau, blau, blau“

  1. Es gibt noch eine nette Geschichte über die Entstehung des Enzians im Buch „Was Blumen erzählen“ Sagen aus der Pflanzenwelt von Margareta Fuchs. Die Sage stammt aus dem „Val di Sole“, welches sich nordöstlich von Trient in den italienischen Alpen befindet.
    (Kurzfassung)
    Die Muttergottes war in ihrem leuchtend blauen Gewand unterwegs und schon sehr geschwächt, weil sie sehr starken Durst verspürte. Eine kleine zarte Pflanze hatte Mitleid und formte aus Stängeln und Blättern einen kleinen Becher und sammelte die von einem Baum heruntertropfenden Wasserperlen darin und bot sie der Frau zum Trank. Dankbar beugte sich die Frau zum Trinken hinunter berührte vorsichtig die Pflanze mit ihren Fingern und vereinigte die Blätter zu einer zarten Blüte. Sie strich mit ihrem Kleid über die Blumenkrone und ließ kurz ihr blondes Haar darüber gleiten. So ist der Enzian entstanden und trägt seither die Farbe des leuchtend blauen Kleides der Muttergottes, durchzogen von feinen , goldgelben Härchen.

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