Wow, was für Männer! Lange Kerle mit bemerkenswerten …äääh, naja, Beuteln! Ein Schelm, wer unanständig dabei denkt. Und dann noch die Dame! Ein echter Swinger-Club im Pflanzenreich.
Die großen Staubbeutel schaukeln an langen Staubfäden, sind unglaublich beweglich und wie bei einem Jonglierteller nur ganz an der Spitze in einer Art Rinne befestigt. Sie laden zum neugierigen „Betatschen“ ein. Hui, Wahnsinn! Und erst die Narbe – sie ragt extrem über den Blütenkelch hinaus. Simone Braun ist mal wieder entdeckungsfreudig, und es stellt sich ihr die Frage nach dem Warum, Wieso, wie geht das…
Aufrechter Blütenkelch Trompetenförmige Blüte Turban – Türkenbund
Grob unterscheidet man trompetenförmige, schalenförmige und sog. Türkenbund-Lilien mit nach hinten umgeschlagenen Blütenhüllblättern, die einem Turban ähneln. Die radiär oder schwach zygomorph ausgebildeten Blüten bestehen aus zwei Kreisen zu je drei Blütenhüllblättern, die jeweils gleich gestaltet sind – also ein zweikreisiges Perigon. Im Schlund, nahe des Blütenbodens wird von diesen Perigonblättern Nektar produziert.
Es gibt 6 Staubblätter. Sie stehen parallel zum Griffel oder in einem Winkel von bis zu 31° von der Blütenstandsachse ab. Die Staubfäden setzen am Rücken der Staubbeutel an, die Verbindung ist beweglich. Der länglich-runde Stempel kann je nach Art über 10 cm lang werden. Auf dem oberständigen Fruchtknoten ragt ein stark verlängerter Griffel empor. Anfangs steht er parallel zur Blütenachse, wächst dann jedoch seitlich aus. Die Narbe ist verdickt und üblicherweise dreilappig.
In der Regel gibt es keine Selbstbestäubung, es muss also Pollen einer anderen Pflanze auf die Narbe übertragen werden. Und das funktioniert so:
Jedes Blütenhüllblatt trägt im unteren Abschnitt eine zum Blütengrund verlaufende Nektarrinne oder besser -röhre, die aus zwei leistenartigen Aufwölbungen besteht, die oben meistens von Haaren bedeckt werden. Darin wird Nektar ausgeschieden. Die Bestäuber müssen also lange Rüssel haben – da kommen Tag- und Nachtfalter ins Spiel. Mit großer Flügelspannweite. Bei aufrechten Lilienblüten landen sie auf den Perigonblättern und kommen dann ganz automatisch mit Staubbeuteln und Narbe in Kontakt. Bei hängenden Blüten wie beim Türkenbund dagegen verhindert eine aalglatte, ölig-wachsige Blütenblattoberfläche eine Landung, hier sind es Schwärmer wie das Taubenschwänzchen, die im Schwirrflug die Bestäubung übernehmen, oder Eulenfalter, die sich wenigstens kurzzeitig an den Blüten festhaken können. Daher auch die schaukelnd aufgehängten Staubbeutel, die den Schmetterling dann von oben mit Pollen einpudern. Und der weit herausragende Griffel, damit die Falter ihn berühren und auf Kopf und Körper mitgebrachten Pollen übertragen. Der Swinger-Club wird illustrer…
Ganz ähnlich verhält es sich auch bei den Taglilien (Hemerocallis), die Simone mit Entdeckerfreude untersucht hat – aber auch beim Ritterstern (Hippeastrum), geläufiger als Amaryllis.
Es ist schon ungeheuerlich, was da bei Lilien und Taglilien abläuft. Ihr Liebesleben kann einen mitreißen. Aber wenn man sich dann noch die Geschichte von der Entstehung der Lilie anhört, wird’s gänzlich unverschämt:
Laut griechischer Mythologie entstand die weiße Madonnenlilie (Lilium candidum) durch einen Tropfen Milch, der aus der Brust von Hera – Gattin des Zeus und Wächterin über eheliche Liebe und Niederkunft – auf den Boden tropfte, als sie Herakles stillte (der dank dieser Milch zum Helden wurde – die Milch macht’s!). „Ihr Weiß gleicht glänzendem Schnee, der süße Duft ihrer Blüte
gleicht dem der Wälder von Saba. Nicht übertrifft der Parische Marmor an Weiße unsere
Lilien, nicht übertrifft sie die Narde an Duft.“ schwärmte der Abt Wahlafrid Strabo.
Da wundert es kaum, dass sich Aphrodite, die Göttin der Schönheit, Liebe und Begierde, über die überirdische Schönheit und unbefleckte Reinheit dieser Blume derart geärgert hat, dass sie ihr den Phallus eines brünstigen Esels als Stempel in den Kelch verpasste. Der ragt für alle sichtbar deutlich heraus, wie ein ordinärer Stempel.
Dieser frivole Anblick war natürlich der katholischen Kirche des Mittelalters ein großes Ärgernis, galt doch die weiße Lilie als Sinnbild für die Reinheit und Jungfräulichkeit der Maria. Sie wurde in viele christliche Gemälde integriert. Aber stets ohne den monströsen Stempel, der war dann doch zu anstößig – Aphrodite wäre stolz auf ihren Erfolg gewesen.