Schlehen werden überwiegend als „nicht schmackhaft“ angesehen, ganz besonders direkt vom Strauch gepflückt. Aber da tun wir den blauen Steinfrüchten vom Schwarzdorn (Prunus spinosa) unrecht, denn die „Sauerpflaumen“ wollen nur richtig behandelt sein. Wer das versteht, erhält unvergleichlich schmackhafte Schlehen, die fein nach Bittermandel, Pflaume und Kirsche schmecken – leicht herb, angenehm säuerlich und doch auch süß.
Schlehen brauchen Frost?
So heißt es immer. Erst nach den ersten Frösten seien Schlehen erntereif, erst nach dem Einfrieren würden sie überhaupt genießbar. Aber so einfach ist das nicht. Was den Genuss der Schlehen zunächst beeinträchtigt, das muss eben erst aus der Geschmackswahrnehmung verschwinden: Gerbstoffe. Denn Gerbstoffe sind verantwortlich, dass Schlehen neben einem herben Geschmack im Mund zusätzlich ein Gefühl erzeugen, als sei plötzlich alles ausgetrocknet und pelzig, auf bayrisch insgesamt als „hantig“ bezeichnet. Man gerbt eben seine Mundhöhle, sogar die Zahnoberflächen.
Frost zerstört die Gerbstoffe, lautet die allgemeine Annahme. Das ist nicht ganz korrekt. Frost zerstört keine Gerbstoffe, übrigens auch Hitze nicht. In der frisch gepflückten, noch prall-saftigen Schlehe verhindern Pektine, dass Gerbstoffe mit anderen Stoffen, vor allem Farbstoffen wie den Anthocyanen, reagieren und damit „unschmeckbar“ werden. Pektine werden mit zunehmender Reife enzymatisch abgebaut. Frosteinwirkung kann das etwas beschleunigen, indem die Zellstrukturen aufgebrochen werden und die Enzyme leichter arbeiten. Tatsächlich abgebaut werden Fruchtsäuren, damit kommen die enthaltenen Zucker besser zur Geltung. Aber eigentlich braucht es dafür nur Zeit.
Pflückreife ist nicht gleich Genussreife
Das kennen wir von Äpfeln, vor allem bei späten Apfelsorten. Frisch vom Baum gepflückt schmecken sie meistens nicht gut. Erst nach mehr oder minder langer Lagerung entfalten sie ihr Aroma und ihren Wohlgeschmack. Weil während der Nachreife Pektine abgebaut werden, damit die weniger mundenden Inhaltsstoffe unwirksam werden. Dasselbe gilt für Schlehen – und viele andere Wild-Früchte. Wer Schlehen also gut ausgefärbt und innen nicht mehr grün, sondern schon voller rotem Saft erntet und dann eine Weile einlagert, erhält wirklich leckere Früchte.
Das Ablagern ist allerdings nicht so einfach, denn die kleinen Früchte trocknen schnell aus, faulen oder werden schimmelig. Nötig wäre ein luftfeuchter, kühler Kellerraum, wie man ihn früher hatte: Erdkeller mit gestampftem Lehmboden und Ziegelmauerwerk. Also verstaut man die Schlehen am besten doch – in der Gefriertruhe. Und lässt sie dort einige Wochen.
Kochen statt lange warten
Oder man kocht die Schlehen mit viel Geduld bei milder Hitze, dadurch werden sie ebenfalls wunderbar aromatisch. Denn durch längeres Einwirken von hohen Temperaturen wird ein großer Teil der Pektine löslich, damit verwehren sie nicht weiter, dass Gerbstoffe mit anderen Stoffen reagieren. So drängen sich u.a. die in den Schlehen enthaltenen Zucker in den Vordergrund – und das schmeckt eben gut. Übrigens enthalten Schlehen tatsächlich reichlich Zucker (5-10 %), etwa soviel wie Cola. Und sie sind weniger sauer als Himbeeren.
Machen Sie mal die Probe
Pflücken Sie eine gute Handvoll schöner Schlehen – es gibt in manchen Regionen heuer viele – und legen Sie diese ins Gemüsefach vom Kühlschrank. Jede Woche verkosten Sie ein bis zwei davon. Sie werden merken, dass sich der Geschmack immer weiter verbessert. Weihnachten dürften die Schlehen perfekt sein!