Des Rätsels Lösung vom 10.8.2022: das Einjährige Berufkraut (Erigeron annuus), auch Feinstrahl genannt.
Berufen zu Feinem: „Gänseblümchen!“, höre ich oft als spontanen Ausruf, wenn ich nach dem Namen der heute hier vorgestellten Pflanze frage. Eine gewisse Ähnlichkeit besteht ja wirklich. Die gänsefederweißen Blümchen stehen allerdings auf hohen, reich verzweigten Stielen und ducken sich nicht im Rasen, um den hungrigen Gänseschnäbeln oder dem Mäher zu entgehen.
Unberufen wuchsstark: In Europa wächst das Einjährige Berufkraut sehr häufig, oft direkt vor der Gasthaus-, Hütten- oder Küchentür sowie im Garten. Es wurde im 18. Jahrhundert in ganz Europa verbreitet, ursprünglich stammt es aus Nordamerika. Zunächst war es als Zierpflanze geschätzt, schließlich bekam es mehr und mehr den Ruf eines unbeliebten Unkrauts, heute gilt es teilweise gar als invasiver Neophyt. Das Kraut wird ein Gewinner des Klimawandels, es siedelt inzwischen in immer höheren Lagen und dringt vermehrt auch in Almwiesen ein. Jede Pflanze kann pro Saison mehrere Zehntausend Samen hervorbringen.
Ursprünglich ausländisch: Es ist also nicht heimisch, das Berufkraut. Aber können Sie sich eine Küche ohne Erdäpfel, Tomaten oder Basilikum vorstellen? Alles fremdländische Pflanzen, die wir heute ganz selbstverständlich als voll integriert ansehen. Auch die Kartoffeln haben sich erst ab 1700 verbreitet, wie das Berufkraut. Zudem kann das Berufkraut gut helfen, wenn es um den Anspruch einer ausgeprägt regionalen Küche geht, für die sämtliche Zutaten aus unmittelbarem Umkreis kommen sollen.
Kommt wie gerufen: Das wohl meistgebrauchte Gewürz unserer Küchen, der Pfeffer, würde bei einer strikten Auslegung der regionalen Küche nicht zur Verfügung stehen. Immerhin kommt er daher, wo der Pfeffer wächst, also vorwiegend aus dem Fernen Osten. Was fein, dass der Feinstrahl dafür schon hier ist. Denn – und jetzt kommt’s – es schmeckt kräftig würzig-scharf und ist damit zum Pfefferersatz berufen.
Strahlt Würze aus: Beim Szechuanpfeffer (Chinesischer Pfeffer, Anispfeffer) oder bei der Parakresse (Prickelknöpfchen, Husarenknöpfe, Sechuan-Buttons, Jambu) reizen charakteristische Inhaltsstoffe Gaumen und Zunge, so dass ein pfeffriger, betäubender Geschmackseindruck entsteht – ähnlich verhält es sich beim Einjährigen Berufkraut. Ein spezielles Gemisch aus ätherischen Ölen sorgt in den Knospen und Blütenköpfchen, verhaltener auch in den Blättern für die Würzkraft. Erstaunlich – aber wahr. Da macht das Berufkraut den Koch und die Köchin zum berufenen Meister!