Da machst was mit! Stell dir vor, du bist eine Pflanze und dir bleibt zum Leben nur eine Ritze zwischen Pflastersteinen. Da wäre das Gejammer aber groß! Dermaßen beengte Wohnverhältnisse sind doch völlig unzumutbar. Was für eine Hitze in praller Sonne, kann mal jemand für Schatten sorgen. Klimaanlage wäre auch gut. Mit Füßen getreten, welche Schmach. Mal fast verdursten, mal schier ersaufen, geht’s noch. Vielleicht sollten wir uns mal ein Beispiel in der Pflanzenwelt vor Augen halten: Das Kahle Bruchkraut (Herniaria glabra) aus der Familie der Nelkengewächse.
Begrünung für Ritzen
Das polsterförmige Kraut, das man auch Blattlos (obwohl keineswegs ohne Blätter), Kleiner Wegetritt oder Dürrkraut (weil es sogar Verdorren erträgt) nennt, erstaunt mich ungemein. Was es da alles aushält! Und wie adrett es ausschaut, wenn man sich nur zu ihm hinunterbeugt. Es verschönert hässliche Pflasterflächen, begrünt Kies und Schotter (das wäre doch was für die unsäglichen Vorgarten-Steinwüsten), hübscht sandige Böschungen auf, bedeckt kahle Stellen. Lässt sich sogar betreten, braucht keine Pflege und klagt trotzdem niemals. Leistet als Fugenfüller oder Bodendecker beste Dienste. Ist schneckenresistent. Und duftet zart, wenn man es trocknet.
Heilt vielerlei Brüche
Bruchkraut, der Name verweist auf die einstige Verwendung bei Brüchen wie z.B. Leistenbruch. Auch der botanische Gattungsname Herniaria leitet sich vom lateinischen hernia für Bruch ab. Früher wurde es heilkundlich eingesetzt zur Behandlung von Rissen oder Brüchen des Gewebes und Austritt der Eingeweide. Heute setzt man es heilkundlich zur Durchspülung der Nieren ein. Mir ist das Bruchkraut aber auch im Sinne einer Heilpflanze für den Bruch zwischen Mensch und Natur bedeutsam – unerschütterlich zeigt es, wie offen die Natur mit unserer technisch geschaffenen, künstlich geprägten Umgebung umgeht. Wie ein von den meisten Menschen völlig unbeachtetes Pflänzchen uns zeigt, dass wir Menschen uns der Natur schon weit entfernt haben, aber die Natur und noch nicht verlassen hat!