„Unkraut“ im Garten: Zaunwinde

Schon wieder „Unkraut“, ein besonders gehasstes – von nicht wenigen Gärtnern an eine der vordersten Plätze auf der Liste der world’s worst weeds gewählt: Die Echte Zaunwinde (Calystegia sepium). Trägt so nette Namen wie Bettlerseil, Schlangenrank, Teufelsdraht, aber auch so einfallsreiche wie Tutenblume, Kaffeetässchen oder Pisspott. Regenblume heißt sie, weil sie sich schließt, wenn Regen ansteht. Elegante Schlingtriebe, herzförmige Blätter, glockige Blüten, die auch nachts im Mondlicht schimmern – kann man so was als Unkraut verreißen?

Dazu eine kleine Geschichte:
Es war einmal ein uralter Apfelbaum, den hatte alle Lebenslust verlassen. Er konnte nur noch sehr wenige Blüten treiben, hatte eine sehr schüttere Krone, brachte höchstens noch wenige winzige Früchte zur Reife. Ein paar Äste waren bereits herab gebrochen, am Stamm klaffte eine große Narbe. „Ach wenn mich die Menschen nur ein wenig besser gepflegt hätten,“ seufzte der Apfelbaum, „dann stünde ich heute noch in Saft und Kraft. Aber so… muss ich wohl gehen.“
Tatsächlich hatten die Menschen, auf dessen Land der uralte Apfelbaum stand, schon die Sägen und Hacken bereit, um den hässlichen, ausgedienten Apfelbaum zu roden. Er bringt ja doch nichts mehr, war die Meinung, nicht einmal Blüten.

Aber eine lebenslustige Winde, die am Zaun gleich neben dem Apfelbaum emporkletterte, hatte Mitleid mit dem alten Baum. Ihr selber rissen die Menschen auch ständig die Triebe ab und versuchten ihre Wurzeln auszugraben. Sie streckte ihren längsten Trieb so lang sie nur konnte, ließ ihn gegen den Uhrzeigersinn kreisen und suchte Halt an der rauen Rinde des Apfelbaumstamms. Eine zarte Berührung, schon zog sich die Winde zum Baum und rankte höher und höher. „Pass auf,“ meinte die Winde zum Apfelbaum, „denen werden wir es zeigen!“
Schier über Nacht hatte die Winde sich ins Geäst des alten Apfelbaums vorgearbeitet und alle seine Äste umschlungen.

Als die Menschen kamen, um den Apfelbaum umzuhauen, ließen sie erst einmal Sägen und Hacken fallen. Sie konnten kaum glauben, was sie sahen: Der Apfelbaum trug ein Kleid aus frischen Blättern, lange Ranken hingen wie Girlanden von seinen greisen Zweigen. Und überall öffneten sich weiße Blütenkelche.

Diesen wunderbaren Baum könne man nicht umsägen, entschieden die Menschen. Und setzten sich unter den alten Apfelbaum und bewunderten ihn. Es wurde bereits dunkel, der Mond kam hervor. Da begannen die Blüten silbern zu schimmern und süß zu duften.
Nie wieder hat jemand, der diese bezaubernde Geschichte erlebt hat, einen alten Apfelbaum vorzeitig umgehauen noch eine Zaunwinde ausgerissen.

1 Gedanke zu „„Unkraut“ im Garten: Zaunwinde“

  1. Oh wie wunderschön 🙂 … das erzähle ich bei uns im Garten weiter … vielleicht hat unsere Zaunwinde ein Herz für unseren alten Kirschbaum. Vorerst wächst sie aber am liebsten zum Nachbarn rüber 😉

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