Kräutergeschichten von Doris Eggermann

HagebuttenkoenigIm Rahmen der Serie “Kräuterpädagogen aktiv”: Doris Eggermann aus Schwaigern (Landkreis Heilbronn) denkt sich lauter hübsche Kräutergeschichten aus. Sie erzählt sie natürlich auch gerne, am liebsten einem großen Publikum. Oder sie packt ihre Geschichten in kleine Büchlein, versehen mit vielen hübschen Fotos. Fragen Sie Frau Eggermann!

Doris Eggermann: 07138 – 14 27, eggerfrau(at)t-online.de — bitte (at) durch @ ersetzen (Spamschutz).

Und damit Sie Frau Eggermanns Talent mal kennen lernen, darf ich hier eine ihrer herrlichen Erzählungen veröffentlichen, die zu dem Bild gehört (Frau Eggermann kann auch nett malen!) :

Der Hagebuttenkönig
von Doris Eggermann

Am Waldesrand, dort wo die Sonne den ganzen Nachmittag hin scheinen konnte, wuchs einst ein Strauch. Anfang August trug der Strauch die ersten Früchte. Zuerst waren sie grün und länglich, doch mit Hilfe der Sonne wurden sie allmählich rot. Die Menschen nannten sie Hagebutten. Auf dem Kopf hatte jede dieser Hagebutten einige Haare, die eigentlich nichts anderes waren als der Rest der Hüllen, die im Frühling die Blütenblätter geschützt hatten. Bei den meisten Früchten fielen die Härchen bald ab, dann sahen sie aus, als hätten sie ein schwarzes Käppchen auf.

Bei einer besonders schönen, dicken, roten Frucht allerdings, blieben sie erhalten. Nicht nur das, nein, sie sahen sogar aus wie eine Krone. Wie du dir vorstellen kannst, war nun diese Hagebutte sehr stolz: „Ich muss schon etwas Besonderes sein, wenn ich so leuchtend rot bin und eine Krone trage“, dachte sie und wurde dabei noch etwas dicker. Jeden Tag wurde sie noch etwas stolzer und eingebildeter, bis sie eines Morgens laut zu ihren Mitbewohnern am Strauch sagte: „Wie ihr alle sehen könnt, trage ich immer noch eine Krone, dabei hat die Natur sich bestimmt etwas gedacht. Ich werde deshalb ab heute euer König sein.“ Die anderen Butten nickten leicht mit ihren Köpfchen, hatte nur der Wind sie bewegt oder hatten sie nichts dagegen einzuwenden?

In der darauf folgenden Nacht schlief der Hagebuttenkönig schon sehr schlecht. Ein König hatte ja auch Pflichten. Als erstes musste er sein Reich schützen. Deshalb schreckten die Hagebutten schon vor Sonnenaufgang durch eine laute Stimme aus ihrem Schlaf auf. „Ich, euer König – Butte vom Hag I. – sage euch, wir brauchen eine Armee, denn wir müssen gerüstet sein, wenn Feinde uns angreifen wollen. Macht euch an die Arbeit, bildet Dornen an jedem Zweig.“ Ganz leicht schüttelten die Hagebutten ihre Köpfchen. Mit den schwarzen Käppchen. Möglich dass der Wind sie bewegte, vielleicht hätten sie aber lieber noch geschlafen.

Nach einer Woche harter Arbeit war der Strauch mit Dornen übersät. König Butte vom Hag lehnte sich entspannt zurück, ließ sich von der Sonne bescheinen und summte zufrieden ein Lied. Doch schon zwei Tage später war es wieder vorbei mit seiner Zufriedenheit. „Wir müssen höher und breiter werden“, dachte er bei sich, „Denn, wenn wir größer werden, sind wir auch mächtiger. Also machte er sich ganz dick  und rief seinen Untertanen wichtig zu. „Hängt nicht nur faul in der Sonne herum, bewegt euch, vergrößert unser Reich!” Da raschelte es mächtig im Busch, waren die Hagebutten unzufrieden mit ihrem König oder blies nur ein starker Gewitterwind?

Der  Busch bekam lange Ranken. Sie wuchsen in die Höhe, neigten sich zur Seite und verhakten sich dort mit ihren Dornen an den Nachbarsträuchern. Bald schon war eine dicke Hecke entstanden. Ein Vogelpärchen, das im Nachbarbaum lebte, kam herbei geflogen. Schon eine Weile hatten sie aus der Ferne beobachtet, was im Busch vor sich ging. “Wir sollten hierher umziehen!” zwitscherten sie sich zu. „Hier ist es viel sicherer, die Dornen werden unsere Eier schützen.“ Gleich fingen die beiden an, mitten im Strauch ein Nest zu bauen. Das fand nun unser Hagebuttenkönig gar nicht so toll, nicht dass er etwas gegen Vögel hatte, aber in seinem Reich ein Nest zu bauen, ohne zu fragen, das konnte nun wirklich nicht angehen. Gerade wollte er anfangen zu schimpfen, da hörte er ganz in der Nähe Menschenstimmen. Zwei Frauen kamen mit ihren Körben immer näher. Genau vor seinem Strauch machten sie Halt und begannen Hagebutten zu sammeln.

Festgewachsen an seinem dornigen Ast, wedelte König Butte vom Hag mit seinen Armen und schrie laut vor Empörung: „Hört ihr wohl auf, die Früchte aus meinem Reich zu stehlen, ich bin der König und bestimme, was hier geschieht.“ Die Frauen schienen ihn gar nicht zu hören. Sie schwatzten und lachten, während sie die Hagebutten in ihre Körbe sammelten. „Wie gut, dass diese Früchte so viel Vitamin C enthalten, dadurch sind wir im Winter besser vor Erkältungen geschützt. Ich freue mich schon auf die Marmelade, die ich daraus machen werde“ sagte die Eine.  “Und ich auf den Tee, von dem ich den ganzen Winter trinken kann“, antwortete die andere. Der Hagebuttenkönig musste hilflos mit ansehen, wie sein Strauch geplündert wurde. Nur gut, dass der Strauch so hoch und dornig war, so konnten die Frauen nur die unteren Früchte sammeln. Dennoch schlief der König wieder sehr schlecht in dieser Nacht. Was konnte er nur tun, um sein Reich besser zu schützen?

Nicht nur an den Ästen die Dornen, nein, auch in der Frucht selbst musste etwas sein, das die Menschen davon abhielt, sie zu essen. “Das ist die Lösung!” dachte er begeistert. Er polierte seinen roten Mantel auf Hochglanz, rückte seine Krone gerade, räusperte sich und sprach zu seinem Volk: „Meine lieben Mit-Butten! Ich habe lange überlegt, wie wir uns besser schützen können, und ich bin zu diesem Ergebnis gekommen. Beginnt sofort, kleine Härchen in eurem Innern herzustellen und einzulagern. Sie müssen kleine Widerhaken haben, so dass im Falle einer Berührung die Menschen ein starkes Jucken verspüren. Die Hagebutten nickten an ihren Zweigen. Vielleicht, weil sie die Idee gut fanden, vielleicht waren sie auch schon so groß, reif und schwer. Bald schon hatte sich jede Hagebutte mit kleinen Härchen im Innern gegen einen neuen Feind gewappnet. Nun hingen sie zufrieden und schwer am Strauch und genossen die letzten Sonnenstrahlen.

Da wurden sie abrupt aus ihrer Mittagsruhe gerissen. Jungen kamen den Weg entlang und alberten lautstark herum. Vor lauter Übermut begannen sie sich zu schubsen, bis aus Versehen Max im Hagebuttenbusch landete. Max und König Butte schrieen gleichzeitig auf; „Au das tut doch weh!“ Max wurde ganz rot vor Zorn. „Na warte, wenn ich euch erwische“, fauchte er. Mühsam nur konnte er sich aus dem Strauch befreien. Übersät mit Kratzern stand er wütend da und sann nach Rache. Als er darüber nachdachte, wie er sich revanchieren konnte, zerdrückte er geistesabwesend eine Hagebutte, die noch an seinem T-Shirt hing. Da verspürte er ein Jucken in seinen Fingern. Erstaunt erkannte er, dass die Hagebutten Juckpulver enthielten.

Wieder musste König Butte vom Hag mit ansehen, wie ihm Früchte aus seinem Reich gestohlen wurden. Denn Max beugte sich weit vor, um weitere Früchte zu pflücken. Das würde eine wirksame Waffe sein, um sich zu rächen. Er öffnete die Hagebutten, behielt die juckenden Härchen in der Hand, um sich dann mit Gebrüll auf seine Freunde zu stürzen. Lachend rieb er das Juckpulver auf den Rücken seiner Widersacher. König Butte aber ließ seinen Kopf hängen. Umsonst hatte er sich so viele Waffen zur Verteidigung ausgedacht. Die Menschen schienen aus allem einen Nutzen zu ziehen. Wie gut nur, dass sie die Früchte oben im Strauch nicht erreichen konnten.

Hagebuttenkoenig WinterDie sonnigen Herbsttage waren vergangen. Starke Stürme rüttelten schon bald am großen Strauch. Ein Blättchen nach dem anderen wurde vom Wind davon getragen. Die verbliebenen Früchte wurden heftig durchgeschüttelt. Nachts gab es schon die ersten Fröste. Eines Morgens erwachte der König früher, ihm war heute besonders kalt. Verwundert rieb er sich die Augen. Ringsherum war alles weiß, selbst die Hagebutten hatten alle ein weißes Käppchen auf. Auch die Vögel in ihrem Nest waren ganz aufgeregt. Wo sollten sie nur ihr Futter finden, wenn der Boden gefroren war? Weil die Vögel gar so hungrig waren, pickten sie die roten Früchte an, die direkt neben ihrem Nest hingen. Mh, die schmeckten gut, so würden sie den Winter gut überleben. Verzweifelt stöhnte König Butte vom Hag der I. So viele Gedanken und Sorgen hatte er sich gemacht,  um sein Volk zu schützen. Alles war umsonst gewesen. Niemand würde überleben, auch er selbst nicht. Nach dem langen Winter war die Hecke kahl.

Hagebuttenkoenig BluetenDoch mit den Strahlen der ersten Frühlingssonne, wuchsen viele neue Blättchen an den Zweigen. Als die Tage länger und wärmer wurden, erblühten plötzlich einzelne Rosen an der Hecke. Bald schon war sie mit Rosenblüten übersät. Wie schön das aussah, viele Bienen kamen angeflogen, um fleißig Nektar zu sammeln. Nicht lange hielt die Pracht, kaum waren die Blüten bestäubt, schon fielen die Blütenblättchen ab. Doch weil die Bienen sie befruchtet hatten, entwickelten sich daraus Hagebutten, klein und grün noch, aber schon ganz deutlich zu erkennen.

Ein ganzes Jahr war vergangen. Nun hing die Hecke wieder voller Hagebutten. Ob es wohl diesen Sommer wieder einen König geben würde? Schau dir die Sträucher genau an. Vielleicht kannst du ihn ja selbst einmal sehen, den König der Hagebutten.

Eggermann Doris
Foto: Dr. Holterman

8 Gedanken zu „Kräutergeschichten von Doris Eggermann“

  1. Hei Doris
    wir sind einfach baff, mach weiter so!
    Sind schon auf Deine nächsten Bücher gespannt.
    Bis bald und denke an Helmut seine Brenneseln.
    L.G. Dieter, Edi und Roy

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  2. Deine Geschichte ist wundervoll, anschaulich und lehrreich zugleich! Herzlichen Dank. Und was meinst Du wieviel Wissen Du unseren Kindern dadurch vermitteln kannst, das ihnen kaum jemand mehr beibringen kann…

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